"Was ist denn das? Gibt's hier Teufel? Wilde? Indianer?
Ich bin nicht dem Ersaufen entwischt, um hier das Zittern zu kriegen ...
Wasser, Wasser, Wasser. Ich kann nicht mehr.
Ein Irrgarten ist diese Insel ..."
Zwölf Jahre ist es her, seit Prospero, einst Herzog von Mailand, von seinem intriganten Bruder Antonio entthront und zusammen mit seiner Tochter Miranda auf dem Meer ausgesetzt wurde. Seitdem ist er der unangefochtene Herrscher eines Inselreiches, wo ihm die Bewohner Caliban, missgestalteter Sohn einer Hexe, und der Luftgeist Ariel dienen. Viel Zeit, um seine magischen Fähigkeiten auszubauen, viel Zeit aber auch, um Rachepläne zu schmieden. Als eines Tages Antonio sowie die Königin von Neapel mit ihrem Sohn Ferdinand und ihrem Gefolge an der Insel vorbeisegeln, sieht Prospero seine Chance. Mit Hilfe von Ariel entfacht er einen gewaltigen Sturm, der seine einstigen Widersacher auf der Insel stranden lässt. Von nun an haben Prospero und Ariel alle Hände voll zu tun: Caliban probt den Aufstand, betrunkene Neapolitaner wollen den Inselthron besteigen, Antonio schmiedet neue Intrigen und den stürmisch frisch Verliebten Miranda und Ferdinand kann es nicht schnell genug gehen …
Die Übersetzung und Bearbeitung von Brandon Larch zeigt Shakespeares „Der Sturm“ als dunkles dystopisches Märchen, das Susanne Lietzow mit Phantasie, Schärfe und Humor in Szene setzt: „Oh schöne neue Welt, die solche Wesen in sich trägt.“
Susanne Lietzow setzt Shakespeares „Sturm" im Linzer Theater Phönix unter Wasser
Linz - Ein fulminanter Beginn: Die Bühne des Phönix-Theaters - gänzlich unter Wasser gesetzt - wird in den ersten Minuten von Donner und Blitz erschüttert. Wellen peitschen, Miranda kreischt, im Hintergrund erhebt sich Prospero, ihr Vater, der diesen Sturm heraufbeschworen, herbeigezaubert hat. Peter Badstübner wird in den kommenden zwei Stunden als entmachteter und verstoßener Herzog von Mailand in einem Krankenhausstuhl auf kleinen Rollen durchs Wasser gleiten, immer da, stets beobachtend, manchmal an der Wand schreibend, scheinbar unaufmerksam und doch hellwach.
Der schlaksige Badstübner nimmt dabei eine Körperhaltung ein, die jeden Orthopäden das Fürchten lehrt, mehr hängt er schief im Stuhl, als dass er herzoglich sitzt, ein rachsüchtiger Grantscherm, den einzig die Liebe der Tochter Miranda zu Ferdinand, Sohn derer, die ihn entthront haben, rührt.
Zwölf Jahre ist es her, dass Prospero mit seiner Tochter von der Königin von Neapel (Judith Richter) und seinem eigenen Bruder Antonio (Marcus Off) entmachtet wurde, auf einer Insel landete und seither Herrscher darüber ist. Der Geist Ariel (Felix Rank als hübscher Crossdresser) und Caliban (Sebastian Pass als gepeinigter, devoter Sohn einer Hexe) dienen ihm aus purer Not und Abhängigkeit. Als ein Schiff mit Prosperos Feinden auftaucht, beschwört dieser ebenjenen Sturm herauf und beginnt mit seinem Rachezauber.
Lietzow erzählt Shakespeares Sturm wie einen Traum, etwas Zaubrisches vermittelt sich an diesem wässrigen Ort, der ein unwirtlicher, aber gleichermaßen faszinierender ist. Kein Albtraum, aber auch nicht das angenehm schöne Gegenteil davon. Marie Luise Lichtenthals kompromissloses Bühnenbild, ein aufwändiges Beleuchtungskonzept von Gordana Crnko sowie die Musik von Gilbert Handler - er vertonte Shakespeare-Sonette - bauen dazu eine starke Atmosphäre auf.
Diese Eröffnungspremiere (die Rezension bezieht sich auf die öffentliche Hauptprobe, Anm.) ist ein wunderschöner Theaterabend, an dem es Susanne Lietzow - nach Höllenangst im Vorjahr - ein weiteres Mal gelingt, eine Geschichte so zu erzählen, dass sich jede Rolle, jede Geste und jedes Wort gleichsam ganz natürlich als Teil dieser Geschichte fügt. Am Ende steht ein aufregendes großes Ganzes.
William Shakespeares düsteres Märchen „Der Sturm“ als vergnügliches Theaterereignis im Linzer Theater Phönix
Ja hallo! Das wäre auch der Conchita nicht wurscht, wie zauberhaft emotional und virtuos Felix Rank als androgyner Luftgeist Ariel im sexy Outfit Liebeslieder ins Mikro säuselt, die locker beim Song Contest mithalten könnten. So wie überhaupt der Musik von Gilbert Handler eine wichtige Rolle zufällt, der aufbrausend wild über eindringlich klar bis poetisch, leise die musikalische Gefühlsklaviatur hinauf und hinunter spielt.
Susanne Lietzow, die im Vorjahr eine überaus erfolgreiche Nestroysche „Höllenangst“ im Theater Phönix inszeniert hat, widmet sich nun dem 1611 uraufgeführten, letzten Theaterstück von Shakespeare: „Der Sturm“, ein düsteres Märchen in der Übersetzung von Brandon Larch, die dem genialen Wortwitz Shakespeares entspricht und noch einiges draufsetzt.
Marie Luise Lichtenthal hat einen großen Pool für den Bühnenraum entworfen - gefüllt mit 36.000 Litern Wasser. Das ergibt wunderschöne Spiegelungen und scheint manchmal den ganzen Raum zum Schwingen zubringen. In das riesige Planschbecken baut sie das halbverfaulte Wohnambiente von Prospero und seiner Tochter Miranda: Der ehemalige Herzog von Mailand ist samt Tochter vor zwölf Jahren, von Prosperos intrigantem Bruder Antonio auf offener See ausgesetzt worden, gestrandet sind die beiden auf einer einsamen Insel. Dort verfeinert Prospero seine magischen Kräfte, macht Luftgeist Ariel und Monster Caliban zu seinen Untertanen, grübelt über sein Schicksal, sinnt auf Rache. Peter Badstübner ist dieser Prospero, ein Nosferatu-ähnlicher, verbitterter, herrischer, rachsüchtiger, aber müde gewordener Herrscher über die wenigen Lebewesen der Insel. Als zufällig Antonio, die Königin von Venedig und deren Sohn Ferdinand mit dem Schiff an der Insel vorbeisegeln, lässt er einen Sturm aufziehen und die einstigen Widersacher auf der Insel stranden. Der Tag der Rache scheint gekommen ...
Rutschpartien im chlorierten Nass
Susanne Lietzows Inszenierung ist überbordend fantasievoll, mit hübschen Ideen und voller Humor. Sie gönnt dem Publikum Spaß und Vergnügen, führt die Figuren mit Genauigkeit und Witz, ohne sie zu karikieren. Und sie geht mit dem Bühnenbild großartig um, lässt die Akteure effektvoll darin planschen, schwimmen, treiben, untergehen. Denen wiederum gebührt ein Extra-Applaus für die gekonnten Rutschpartien im chlorierten Nass.
Rebecca Döltl ist eine liebliche und naive Miranda, David Fuchs ein tumber Tor Ferdinand - und beide sind ein gar süßes Paar, das auch ein berührendes Liebesduett singt.
Judith Richter stöckelt eine zickige Königin mit Macken, Marcus Off ist ein dandyhafter, IQ-mäßig unterbemittelter Antonio. In Doppelrollen agieren er und David Fuchs als Stephano und Trinculo, wobei diese versoffenen Szenen ein wenig lang geraten sind. Sebastian Pass ist ein Pfui-Teufel-ungustiöses Gruselmonster Caliban. Und einer pazifistischen, sozialromantischen Nuschel-Muschel fliegen sofort die Sympathien zu.
Es darf viel gelacht werden bei dieser Inszenierung. Nach der Pause aber wendet die Regisseurin das Vergnügen in Ernst.
Prospero entsagt seinen Zauberkräften, will nach Mailand zurückkehren, vergibt seinen ehemaligen Feinden ... Happy End? Mitnichten. Antonio zückt das Messer und verursacht ein blutiges Gemetzel: „Nun zurück in die Zivilisation!“, sagt er. Es gibt keine Versöhnung, kein Verzeihen - auch nicht im Märchen ...
Empfehlenswerte und kurzweilige zwei Theaterstunden bei einem Stück Weltliteratur.
Theater Phönix: Feuchte und gelungene Premiere von „Der Sturm"
Das Telefon läutet auf der einsamen Insel, auf der Prospero, ehemals Herzog von Mailand, und seine Tochter Miranda seit zwölf Jahren darben. Kontakt zur Außenwelt - Fehlanzeige. Regisseurin Susanne Lietzow hat William Shakespeares Drama „Der Sturm" im Linzer Theater Phönix als fesselnde Geschichte menschlicher Zwiespältigkeiten mit humorvollen Impulsen inszeniert. Das Publikum war begeistert. An Wasser mangelte es bei der Premiere Donnerstagabend nicht, Regen außerhalb des Theaters, 36.000 Liter Wasser im Wohnzimmer auf der Bühne. Marie Luise Lichtenthal und die Technik haben ganze Arbeit geleistet, um diesen magischen Ort entstehen zu lassen. An diesem bricht ein von Prospero mit seinem Luftgeist Ariel entfachter Sturm los, der die Feinde, die ihn einst verbannten, stranden lässt.
Wiederbelebung und Annäherung
Unter ihnen ist auch Ferdinand, Sohn der Königin von Neapel, in den sich Miranda - schon als sie ihn mit dem Gesicht nach unten im Wasser treiben sieht - sofort verliebt. Wiederbelebung und Annäherung hat Lietzow als einen Moment voll von Poesie gestaltet. Und vor Kitsch schreckt sie auch nicht zurück, etwa wenn der „zwittrige" Ariel singend aus einer Muschel steigt oder auf Meerjungfrau macht. Dennoch stehen die menschlichen Zwiespältigkeiten bei Susanne Lietzow - sie hat die Fassung von Brandon Larch verwendet - im Vordergrund, die von der unbedarften Miranda („Oh schöne neue Welt, die solche Wesen in sich trägt") bis zu den Widerwärtigkeiten von Prosperos Bruder Antonio reichen. Peter Badstübner als Prospero überzeugt als gebrochener Mann, in dessen Innerem es zu lange Rache gestürmt hat. Seine liebliche Tochter Miranda wird von Rebecca Döltl mit Hingabe gespielt. Felix Rank ist ein überzeugend schwuler Ariel, Sebastian Pass werkt facettenreich als Prosperos leidender Sklave Caliban. Dieser ist auch über die Maßen durchtrieben, findet in zwei Neapolitanern, die von Marcus Off und David Fuchs samt Hauch von Slapstick und rüder Sprache („Seeigelsau") gegeben werden, böse Verbündete. Off bildet darüber hinaus als Antonio mit Judith Richter als Königin von Neapel ein durchtriebenes Gespann. Und Fuchs fungiert auch als Mirandas Liebe Ferdinand. Bestens fügt sich die Musik von Gilbert Handler, die von süßlich bis brachial reicht, in das Geschehen. Und ein Schalentier, das uns die Leviten liest und aufruft, der Natur wieder den größten Stellenwert einzuräumen, macht auch mit. Die Muschel („Was liegt am Strand und spricht undeutlich? Eine Nuschel") wird später von Antonio „gefressen" - Läuterungen aller Art sind hier nicht von Bestand.
Zum heftigen Applaus stürzt sich das gesamte Team in die Fluten. Baden gegangen ist das Phönix mit „Der Sturm" aber nicht.
Außergewöhnliche Version von Shakespeares „Sturm“ im Linzer Theater Phönix
Wasser bereitet den Helden in Shakespeares „Der Sturm“ Freud und Leid. Darum ist es schlüssig, aber auch gewagt, die Bühne des Linzer Theater Phönix mit 36.000 Litern Wasser zu fluten. In dieses „Wohnzimmer mit Hochwasser“ bannte Regisseurin Susanne Lietzow ein grandioses Schauspiel.
Es plätschert im Wohnzimmer. Die Romanze „Der Sturm“, neu übersetzt von Brandon Larch, spielt zwar auf einer Insel, doch in der Version von Susanne Lietzow ist das Wasser ein Element, das längst alles flutet. Der Gewittersturm tobt draußen, drinnen krachen die Emotionen. Es geht um Macht, Rache, Liebe.
Wasser erweist sich als höchst wirksames Element in der bizarren Ausstattung von Marie Luise Lichtenthal. Es lässt Schauspieler plötzlich auftauchen, sie spielen, schwimmen und rudern und letztendlich erweist sich die Flut als „Seegrab“, in das man als Zuschauer Tränen gießt wie beim Hollywood-Untergang der Titanic. Es wird zwar ein Märchen erzählt, doch gespielt wird so sanft, auch witzig, poetisch und hinterhältig, dass man sich gerne auf das wundersame Bad der Gefühle einlässt, das Lietzow hier gelungen ist.
Der alte Prospero, stark und in sich ruhend dargeboten von Peter Badstübner, hockt in seinem Rollstuhl. Die Beine hat er im Wasser wie seine Tochter Miranda, aus der Rebecca Döltl ein warmherziges, liebeshungriges Mädchen macht, das man tief in sein Herz schließt. Das tut man auch mit Caliban, der als Sohn einer mächtigen Hexe das Schicksal hat, ein Monster zu sein. Doch Sebastian Pass lässt ihn als verrückten, schüchternen Sympathler erscheinen, der doch nur ein bisschen Liebe und Anerkennung will. Freilich kann er wild singen und die Augen rollen. Der gute Geist in Prosperos Hand ist Ariel, der von Felix Rank in einen transsexuellen Engel verwandelt wird. Er bestimmt auf Befehl Prosperos über den Lauf der berühmten Geschichte, die als Shakespeares letztes Werk gilt: Als auf der Insel Prosperos nach einem Sturm ein Schiff strandet, klärt der alte Magier Prospero seine jungfräuliche Tochter darüber auf, dass er eigentlich ein Herzog ist. Einst von seinem Bruder gestürzt, will er Rache ..., und Miranda nur Liebe.
In weiteren Rollen: David Fuchs (Ferdinand/Trinculo), Marcus Off (Antonio/Stephano), Judith Richter (Königin).
Linz - Das Theater Phönix steht unter Wasser. Verantwortlich für die 36.000 Liter, mit denen die Bühne geflutet wurde, ist aber nicht der Dauerregen in Linz, sondern die Ausstatterin Marie Luise Lichtenthal. Sie macht Shakespeares „Sturm“ zum Erlebnis. Die Premiere wurde gestern, Donnerstag, Abend ausgiebig bejubelt.
Lichtenthal verlegt die einsame Insel des Stücks in einen Innenraum: eine heruntergekommene Villa mit abgerissenen, halb verschimmelten Tapeten und mächtigen Jagdtrophäen an den Wänden. Ein umgestürzter Baum hat die rückwärtige Mauer durchbrochen, eine vertrocknete Palme wirkt wie ein Hohn inmitten des kniehohen Nass, in dem Prospero in einem Lehnsessel wie auf einem Boot gemächlich von Kamin zu Stehlampe und retour schippert. Diese imposante Bühne ist eine heftige, eine hohe Vorgabe für die Regie. Susanne Lietzow, die sich für die Übersetzung und Bearbeitung von Brandon Larch entschieden hat, nimmt die Herausforderung an.
Es ist eine Endzeit, eine Welt nach der Katastrophe, in der Prospero seine guten und bösen Geister mit fester Hand führt. Peter Badstübner gebietet als müder, entthronter Herzog von Mailand über zwei sehr unterschiedliche Gehilfen: Felix Rank legt seinen Ariel als ephebischen Luftgeist im Fummel an, eine androgyne Gestalt mit Hang zu Hüftschwung und Augenaufschlag. Zwischen Meerjungfrau im Glitzerdress und großem Song-Auftritt als schaumgeborene Venus aus der Muschel scheint dieser Ariel ein bartloser Verwandter von Conchita. Sebastian Pass ist als Caliban der genaue Gegenentwurf, ein aufsässiger, greinender Gnom in Strampelhose und aus Schnecken gebastelten Ohrenschützern.
Lietzow, 1968 in Innsbruck geboren, hat in den vergangenen Jahren viel mit dem Projekttheater Vorarlberg und am Staatsschauspiel Dresden gearbeitet und in der vergangenen Saison am Phönix eine sehenswerte „Höllenangst“ inszeniert. Im Dezember wird sie Wolf Haas‘ Roman „Verteidigung der Missionarsstellung“ am Schauspielhaus Graz auf die Bühne bringen. Im „Sturm“ beweist sie viel Sinn für Komödiantik. Im kniehohen Wohnzimmer-Pool, der auch mit Unterwasser-Auftritten aufwartet, und auf einem schmalen gelben Strand-Streifen regiert der Badespaß vorwiegend paarweise.
Rebecca Döltl als Miranda, die Unschuld vom Strande, und David Fuchs als neapolitanischer Königssohn kommen einander in aller Keuschheit näher, Judith Richter als zickige Königin in Versace und Marcus Off als Prosperos böser Bruder Antonio haben dagegen Mühe, ihre gegenseitige Abneigung in Zaum zu halten. Off und Fuchs dürfen zudem als Stephano und Trinculo die Welt als tragbare Globus-Bar aus den Angeln heben und einen Seeigel zur Sau machen. Höhepunkt dieses amüsanten ersten Teils ist jedoch der Monolog einer anarchistischen, sozialutopistischen Muschel. Das freche Schalentier verfügt nicht nur über revolutionäre Ideen, sondern auch über einen frechen Spruch: „Was ist das: Es liegt am Strand und spricht undeutlich? Eine Nuschel.“
Vergnügt geht es in die Pause. Doch dann macht Lietzow ernst. In den restlichen 20 Minuten Spielzeit macht sie kurzen Prozess mit dem spaßigen Treiben. Kaum schwört Prospero seinen Zauberkräften ab und lässt Vergebung und Milde walten, ist es um ihn geschehen. Ein schales, kitschiges Happy End? Dann schon lieber zurück in den Wahnsinn, proklamiert Antonio, zückt das Taschenmesser und nimmt ausgiebig Rache. Als erstes muss die vorlaute Muschel daran glauben. Es hat sich ausgenuschelt. Rasch geht alle Hoffnung baden. Die Menschheit ist nicht besserungsfähig.
Nach zweieinhalb Stunden zeigt sich Regieteam beim lebhaften Schlussapplaus mit dem Ensemble solidarisch und stürzt sich fröhlich in die Fluten. Da bleibt kein Auge trocken. „Bad in der Menge“ nennt man das wohl.
LINZ. Viel kann schief gehen, wenn ein Stück in einem Moment düster, im nächsten voller Wortwitz und sogar garniert mit Musical- und Slapstickeinlagen ist. Nicht so bei „Der Sturm“ im Theater Phoenix, das am Donnerstag, 11. September, Premiere feierte: Regisseurin Susanne Lietzow gelingt mit ihrer Shakespeare-Umsetzung eine im wahrsten Sinne des Wortes feuchtfröhliche Erzählung mit hohem Schauwert, die in den knapp zwei Stunden Spielzeit keine Sekunde langweilt. Und mit dem Luftgeist „Ariel“ den wohl mutigsten Theater-Charakter beinhaltet, den die Linzer Bühnen seit langer Zeit sahen.
Die Geschichte: Prospero, einst Herzog von Mailand, wird von seinem intriganten Bruder Antonio enttrohnt, zusammen mit seiner Tochter Miranda auf dem Meer ausgesetzt und landet auf einer abgelegenen Insel, wo er der unangefochtene Herrscher ist. Die einzigen Bewohner – Caliban, der Sohn einer Hexe und der Luftgeist Ariel – helfen Prospero, seine magischen Fähigkeiten auszubauen und seine Rachepläne zu schmieden. Die Gelegenheit dazu bietet sich nur allzu bald …
Schnell wird man vom unweigerlichen Blick auf das spektakuläre Bühnenbild – 36.000 Liter Wasser wurden auf die Bühne des Phoenix Theaters gebracht – direkt in die Geschichte gehievt, entbrennt doch gleich zu Beginn lautstark jener Sturm, mit dem Prospero seine Erzfeinde auf der Insel stranden lässt. Was der Theaterabend – es ist die erste Premiere in der neuen Phoenix-Spielzeit - in den folgenden knapp zwei Stunden auf die Bühne bringt, ist ein regelrechter Bauchladen an optischen und szenischen Attraktionen.
Twin Peaks lässt grüßen
Schon dem düsteren Einstieg folgt eine Überraschung: Sprachlich wird das Drama von Shakespeare mit einer großen Prise Humor aufbereitet, selbst für die eine oder andere überdrehte Gesangs- und Slapstickeinlage – von denen nicht jede gelingt – bleibt da Zeit. Mit viel Dynamik und Spannung wird das Geschehen auf der Insel bis zum Grande Finale in der Casa Prospero vorangetrieben. In manchen Momenten fühlt man sich dabei mitunter an japanische Märchenwelten á la Hayao Miyazaki erinnert, anderswo blitzt „Twin Peaks-Feeling“ durch, etwa, wenn man sich nur einmal genauer die schräge Einrichtung des Hauses von Prospero ansieht. Kurzum: Es gibt viel zu sehen, zu hören und für den einen oder anderen Zuschauer in der ersten Reihe vielleicht sogar zu fühlen, denn die eingangs erwähnte Wassermenge spielt im Laufe des Abends alles andere als nur eine Statistenrolle.
Wenn Muscheln sprechen
Das Ensemble ist durch die Bank glänzend aufgelegt, dennoch bleiben vor allem drei eher ungewöhnliche „Stars des Abends“ hängen: Eine sprechende, sozialkritische Muschel, die Großtaten der Beleuchter, die aus dem Wasser-Setting unglaubliche Stimmungen und Bilder zaubern und schließlich die Figur des Luftgeistes „Ariel“, dargestellt von Felix Rank. Dieser gibt, oft auch singend und stets in ungewöhnliche Outfits wie jenes einer Meerjungfrau – den geheimnisvollen Gefangenen von Prospero, der bis zu seiner Befreiung auf der Insel sein Dasein fristet und in vielen Szenen spürbar und omnipräsent ist, selbst wenn er nur im Hintergrund sitzt und das Publikum aus dem Hintergrund beobachtet. Großes Kino.
Fazit: Mit „Der Sturm“ könnte das Theater Phoenix nach einer Vor-Saison mit neuem Besucherrekord gar nicht besser in den Theater-Herbst starten: Äußerst zugänglich, mit viel Musik und kurzweilig inszeniert, sollten sich interessierte Theaterbesucher den Besuch der bis zum 2. November laufenden Produktion auf keinen Fall entgehen lassen. Das Premierenpublikum dankte es mit Standing Ovations.