Wie können politische Visionen nachhaltig durchgesetzt werden? Was, wenn die Politik der kleinsten Schritte nicht schnell genug in eine verantwortungsvolle, gerechte Zukunft führt? Welche Mittel sind erlaubt? Welche Kompromisse, Geschäfte und Opfer würden wir in Kauf nehmen? Ist es überhaupt möglich, zu regieren, ohne sich die Hände schmutzig zu machen? – Diese Frage steht im Zentrum von Jean-Paul Sartres Politthriller „Die schmutzigen Hände“, der während eines globalen Krieges spielt.
Der junge Intellektuelle Hugo hat sein bürgerliches Elternhaus verlassen und heuert bei der sozialistischen Partei an. Zunächst leitet er die Parteizeitung, doch sein Sinn strebt nach höheren Taten. Als Parteisekretär Hoederer getötet werden soll, da er mit faschistischen und bürgerlichen Kräften paktieren will, nimmt Hugo den Auftrag freiwillig an. Er wird Hoederers persönlicher Assistent, zieht mit seiner Ehefrau Jessica in Hoederers Haus und lernt ihn als charismatischen Vollblutpolitiker kennen: nicht um hehre Prinzipien geht es Hoederer, sondern um das große Ganze und das Leben einzelner Menschen. Immer mit der Schusswaffe in der Tasche zögert Hugo das Attentat mehr und mehr heraus. Bis auch Jessica Sympathien für Hoederer entwickelt...
Jean-Paul Sartres Polit-Thriller leuchtet in die Abgründe der Realpolitik, fragt nach der politischen Verantwortung des Einzelnen und erzählt mit feinem Humor ein existentielles Drama, in dem sich politische, philosophische und erotische Motive überlagern und verstärken.
„Die schmutzigen Hände" von Sartre aus 1947 als aktuelles Stück im Theater Phönix
Da hat Regisseur Alexander Kratzer sehr genau gearbeitet, um aus jeder Stückfigur einen Typ mit eigenem Charakter zu machen, wobei ihm aber auch ein erstklassiges Schauspielteam zur Verfügung steht. Der charismatische Johannes Seilern, rhetorischer Verführer mit blitzenden Augen, pragmatischer Machtmensch mit dem Gehabe des einsamen Wolfes, der auch glaubhaft zu vermitteln vermag, dass sich ein junges Mädel in ihn verliebt, wie das Jessica (Judith Goldberg vordergründig naiv, aber doch trotzige bis bestimmende Frau) tut. Felix Rank ist wie geschaffen für die Rolle des Hugo: ein vorstadtneurotischer Woody Allen, klug, begeisterungsfähig, voller idealistischer und revolutionärer Ideen, denen aber sein Tun manchmal nicht folgen mag oder kann. Lisa Fuchs ist eine toughe Revoluzzerin, Matthias Hack und Alois Frank in Mehrfachrollen: köstlich als Trachten-/Prinzenpärchen, witzig als Leibwächter.
Das Stück aus 1947 des Philosophen und Begründers des Existenzialismus, Jean-Paul Sartre (1905-1980), hat junge Menschen seiner Zeit und weit danach stark beeinflusst. Es ist voll der Gedanken zum Nachdenken und Weiterspinnen. Es legt Grundzüge von Revolution dar, die all jene in sich tragen, die sich gegen ein bestimmtes - egal, wie benanntes -System auflehnen. Gedanken und Überlegungen, die in den Köpfen von Wutbürgern, Occupy-Aktivsten, in anarchistischen und auch in terroristischen Gruppierungen zu finden sind.
Und plötzlich stehen sie einander gegenüber. Der pragmatische, erfahrene, kompromissbereite Parteiführer Hoederer, für den es nur ein Ziel gibt: Macht und Machterhalt. Und der junge, dem bürgerlichen Elternhaus den Rücken kehrende, die Bourgeoisie verachtende Hugo, für den es nur ein Ziel gibt: „Sieg unserer Ideen!" Hugo wird von der Partei beauftragt, Hoederer, der mit anderen Parteien paktieren will, zu ermorden. Er tut es schließlich, aber nicht aus politischen Gründen, sondern im Affekt aus Eifersucht, weil Hoederer Hugos Ehefrau Jessica küsst.
Das Buhnenbild, von Stefan Brandmayr mit Studierenden der Linzer Kunstuni gefertigt, ist ein Containerdorf irgendwo am Stadtrand, ein Versteck für diejenigen, die ihre Pläne lieber im Verborgenen schmieden. In großen Lettern ist auf einer Wand „Utopie" zu lesen, am Beginn und wieder am Ende kracht diese Wand nieder und lässt gleichermaßen die Utopie verschwinden: ein schönes Symbol. Die Musik (Markus Tavakoli), großteils bekannte Melodien, kommt aus den Radios, die immer auch Infos über (Bomben-)Anschläge liefern.
Die Kostüme (Cornelia Kraske) sind so zeitlos wie das Stück und diese Inszenierung, die unaufgeregt und doch temporeich wie ein Krimi die Spannung zwei Stunden lang aufrechterhalten kann.
Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“ im Linzer Phönix
Das Linzer Theater Phönix startete am Donnerstag mit einem Polit-Thriller in die neue Spielsaison. Jean-Paul Sartre verfasste „Die schmutzigen Hände“ über ein Mordkomplott, um mit der Politik abzurechnen. Alexander Kratzers Regie verdichtet das brisante Stück zu einem meisterlichen Kammerspiel!
Jean-Paul Sartre verpackte sein Denken in ein Mordkomplott. Das Theater Phönix lud Stefan Brandtmayr ein, mit Studierenden ein Bühnenbild zu entwickeln. Entstanden ist ein brauchbares Setting, das eine Rückblende ermöglicht. Denn die Hauptfigur Hugo, zärtlich und fragil von Felix Rank zum intellektuellen Zweifler entfaltet, kommt aus dem Gefängnis. Er saß wegen Mordes an Hoederer. Nun erzählt er, wie es dazu kam.
Regisseur Alexander Kratzer führt ohne Schnörkel durch den Plot, der von der politischen Diskussion lebt, die Macht, Revolution und Menschenliebe kreist. Er entwickelt dazu kühne, witzige und berührende Interaktionen der Figuren, das Ensemble bringt es schauspielerisch auf Höhepunkte. Johannes Seilern überzeugt vollends als begabter Politiker Hoederer, der alle für sich gewinnen kann. Einzig durchschaut ihn Jessica, die Judith Goldberg mit entwaffnender Naivität und zugleich existenzialistischem Spürsinn ausstattet. Eine feine Mischung, die ihr erlaubt, das Geschehen subtil zu manipulieren. Weiters spielen: Lisa Fuchs, Matthias Hack sowie Alois Frank. Gutes Theater!
Premiere: Politdrama „Die schmutzigen Hände“ (1948) des französischen Autors Jean-Paul Sartre im Linzer Theater Phönix
„Die artigsten Kinder geben die härtesten Revolutionäre ab“, meint Hoederer, der Chef der sozialistischen Einheitspartei, zu seinem neuen Sekretär Hugo. Dieser, ein junger Intellektueller mit Doktortitel, hat sich von seiner bourgeoisen Familie losgesagt, und vertritt nun in der Partei die „reine Lehre“: Der Sieg der Ideen ist wichtiger als das Regieren. Die revolutionäre Partei ergreift die Macht mit Waffengewalt, nicht durch politischen Kuhhandel. Genau einen solchen aber plant Hoederer in Form einer Koalition mit Faschisten und Bürgerlichen. Hugo lässt sich deshalb von linken Parteikreisen für den Mord an Hoederer dingen. Doch der strebsame Jung-Kommunist fängt an, den väterlichen Funktionär gern zu haben, für den Politik in einem besetzten Land im Zweiten Weltkrieg bedeutet, „die Hände in Dreck und Blut zu tauchen“. Hugo schiebt das Attentat hinaus ...
1948: „Schmutzige Hände“ statt „Mani pulite“
Keine Mani pulite“, keine sauberen Hände wie in Italiens Polit-Reinigungsprozess der 90er, sondern schmutzige waren nach dem Krieg in Jean-Paul Sartres Intellektuellenzirkeln das Thema: Ist politischer Mord erlaubt? Heiligt der Zweck die Mittel? Das Theater als moralische Anstalt. Auch Alexander Kratzers Neuinszenierung fragt nach der Möglichkeit, in Zeiten von Terror, Krieg und Krisen das Richtige zu tun. Der Tiroler Regisseur hat das retrospektiv erzählte, diskurslastige Politstück wohltuend entrümpelt, bei aller verbliebenen Revolutions-Metaphorik, die das anfangs schleppende Tempo bedingt. Überholt ist manches dennoch: „Revolutionen macht man nicht mit Blumen“, glaubt Hoederer. Falsch, wie die unblutige „Nelkenrevolution“ in Portugal 1974 bewies. Das ausdrucksstarke, baustellenartige Bühnenbild von Stefan Brandtmayr und Studierenden der Linzer Kunstuni spiegelt auch die Verwirrungen des Zöglings Hugo wider. Etwas umständlich erscheinen höchstens die Auf- und Abgänge über Leitern, denn gespielt wird zu eb\'ner Erde und im ersten Stock. Der großartige Johannes Seilern als Gaststar gibt den Hoederer als knorrigen Bonvivant, dessen Lebendigkeit auf seine Umgebung abstrahlt. Auch der begrüßenswerte Neuzugang Felix Rank (Hugo) hat als blasses, brillengesichtiges Bürscherl seine besten Momente, wenn ihm Seilern gegenüber tritt. Nicht ganz so geglückt ist das Linz-Debüt der Hamburgerin Judith Goldberg als Hugos Frau Jessica: Mit zuckerlrosabuntem Outfit, Frisur und Anmutung könnte sie auch dem Musical „Hairspray“ entstiegen sein. Cool als Hoederers Leibwächter und auch sonst überzeugend: Matthias Hack und Alois Frank. Ebenso Lisa Fuchs als knallharte Parteifunktionärin, eine Art österreichischer Ausgabe der ostdeutschen Sarah Wagenknecht. Was hier auf den Barrikaden beginnt, endet im Bett: Hugo schießt doch noch auf Hoederer, als der ein Pantscherl mit seiner Frau beginnt. Aber kommt nicht Politik im Theater immer aus dem Privaten?