LuLu ist “die Urgestalt des Weiblichen” - jung, hinreißend schön, naiv. Klar, dass alle Männer LuLu wollen. Sie wollen mit ihr ins Bett, doch in erster Linie wollen sie sie besitzen: als Kindersatz, Vorzeigepüppchen oder inspirierende Muse. Doch LuLu ist mehr als eine reine Männerprojektion. Sie lässt sich nicht auf männliches Wunschdenken und Weiblichkeitsphantasien reduzieren und versucht, ihre Persönlichkeit, ihr ureigenstes Wesen in der Gesellschaft zu behaupten. Und das ist in einer Welt voller machtbesessener, geldgeiler, berechnender Geschäftsleute, die teilweise auch noch impotent, emotional zurückgeblieben bzw. hormongesteuert sind, nicht einfach ...
Das einstige Skandalstück "Lulu" nach Frank Wedekind hat das Linzer Theater Phönix auf den Spielplan gesetzt. Premiere des schon angegrauten Stückes war am Donnerstag.
Was gilt heute noch als Prüderie, als Provokation? Wer sich über ein Stück wie "Lulu" heute aufregt, der verweigert entweder seit Jahrzehnten sämtliche Medien wie Fernsehen, Illustrierte und Zeitungen, ist seiner eigenen Scheinmoral erlegen oder hechelt dem ewigen Geheuchel von Moral- und Wertbegriffen nach.
Wedekinds "Lulu" ist ein antiquiertes Stück über eine junge Frau, die jeden Mann in Verderben und Tod stürzt. Lulu ist sowohl Opfer als auch Täterin ihrer eigenen Triebe, aber: Sie ist keine Emanzipations-Figur.
Wedekind ging es garantiert nicht um weibliche Emanzipation, sondern um die Projektion von Männerbegierden: jungfräuliche Kindfrau, Matratzen-Luder, sündige Verführerin, Gedemütigte und Vergewaltigte.
Regisseurin Isabella Gregor hat für diese Aufführung radikal gekürzt und montiert. Gut so, weg mit dem Schwulst, dem Elend und der Tragik. Dadurch glücken ihr einige rasante und auch, ja doch: auch witzige Szenen. Schade nur, dass sie das dynamisch Ironisierende, das Groteske und sogar Slapstickhafte - wie zum Beispiel bei der Selbstmordszene - nicht als Konzept durchzieht.
Denn was bleibt? Streckenweise sind Handlung und Handlungsweise ohne Spannung, ohne Überraschung. Da kann auch die ständige Aufgeregtheit, die kreischende Hysterie, das Auf- und Abgelaufe auf der Bühne kein Tempo hineinbringen, nur sinnlose Hektik.
Isabella Gregor hat die Lulu auf zwei Schauspielerinnen geteilt. Das ist kein neuer, aber interessanter Ansatz. Als Gegensatzpaar ergänzen einander Martina Schwabenitzky und Doina Weber recht gut. Wobei die Jüngere wirklich naiver und in jeder Hinsicht unfertiger, aber - und darauf kommt es, zumindest in dieser Rolle, ja auch an - hübscher Blondengel ist. Doina Weber hingegen ist ein Vollblutweib, eine Frau, die weiß, was sie will und wie sie es bekommt. So wechselt die Lulu auch äußerlich von kindlicher Unschuld zum wilden Temperament, vom lasziv Weiblichen zu bockigem Widerstand.
Die Männer, deren jeweiligem Frauenbild Lulu entsprechen soll: Helmut Fröhlich routiniert als sabbernder Greis, zu sehr überdreht Klaus Bayer als Dr. Schön, Sebastian Pass als entrückt-verzückter Künstlertyp, Werner Landsgesell als verzweifelter Maler.
Andreas Mathes hat, in kongenialer Partnerschaft mit Lichtdesigner Erich Uiberlacker, die Bühnenlandschaft als von einem großen Kinderaugenpaar beobachtete Laufstege gestaltet, auf denen alle Beteiligten sich vor Abstürzen hüten müssen.
Nur mitsammen ein Ganzes
Wolfgang "Fadi" Dorninger hat stimmige Filmmusik komponiert, auch ironisierend und kontrapunktisch: gut durchdacht. Ebenso wie die Kostüme von Andrea Hölzl: Die Lulus haben gleichsam eine Hälfte - ob Spielhoserl oder große Satin-Robe - an, sind somit nur miteinander ein Ganzes.
Premiere: Das Linzer Theater Phönix spielt Neufassung nach Frank Wedekinds einst skandalöser “Lulu“-Tragödie
An der Video-Wand rattern die Börsenkurse, davor in vierfacher Ausführung “Mr. Wichtig“ in Reinkultur: Mit Handy, Aktenkoffer und der unbändigen Gier, möglichst rasch möglichst viel Gewinn zu machen. Wie an unsichtbaren Fäden hampeln sie dahin in ihrer Lächerlichkeit...
Daneben der Blick auf ein Gitterbett, in dem sich eine Kindfrau im rosa Tüll für die begehrlichen Blicke der Zuseher zurechtbiegt, während dahinter ihr Alter Ego in Schmerzen zuckt.
Ein schlüssiger Einstieg in Frank Wedekinds einstiges Skandalstück “Lulu“, das die Doppelmoral des Fin de Siècle in der Figur der außerhalb jeglicher Konvention stehenden Femme fatale zu geißeln verstand. Die Zensur zeigte ihre Klauen...
Heute steht Lulu nicht nur für den Mythos der fleischgewordenen Sinnlichkeit und als Projektionsfläche der Männer zwischen Kindfrau und Vamp, Anbetung und der Angst, vom “Ewig-Weiblichen“ verschlungen zu werden. Regisseurin Isabella Gregor ging es auch darum, das Klischee vom “wahren, wilden, schönen Tier“ zu brechen, Lulus Suche nach Autonomie sichtbar zu machen. Sie spaltet dafür ihre Protagonistin in ein Doppelwesen auf, verkörpert von Doina Weber und Martina Schwabenitzky, das von den Männern umschwirrt wird wie die Motten vom Licht - und das diesen ebenso wenig bekommt wie Insekten der Absturz in die Flamme.
So nachvollziehbar Gregors Ansatz ist, der Vielschichtigkeit der Titelheldin im Doppel gerecht zu werden: Für mich wäre es auch reizvoll gewesen, die Konzentration allein auf Doina Weber zu richten, die mit ihrer Bühnenpräsenz alle anderen Darsteller überstrahlte.
Alle, die Lulu begehren, machen sich ein eigenes Bild von ihr, keiner sieht sie wirklich und das müssen sie büßen: der alte Medizinalrat Goll (Helmut Fröhlich), der nur Staffage für ihr Verhältnis mit Dr. Schön ist (Klaus Beyer ist schauspielerisch noch am ehesten ein echter Widerpart); der Maler Schwarz (Werner Landsgesell) oder Schöns Sohn Alwa (Sebastian Pass).
Marionetten im Reigen der Begehrlichkeit
Sie alle zappeln wie Marionetten im Reigen der Begehrlichkeit, für den Andreas Mathes einen rasch wandelbaren schrägen Bühnenraum gebaut hat, der das hohe Tempo der Inszenierung zulässt. Wodurch manche Szene aber auch in banal-hektisches “Hasch mich, flieh\' mich“ kippt. Der Versuch, “Lulu“ in eine zeitgemäße Form zu gießen, ist so nur mit Abstrichen gelungen.
Frauen dominieren die Premiere von Wedekinds "Lulu" im Linzer Phönix-Theater
"Das menschliche Gehirn sei meine Bühne, mein Lieblingsregisseur die Phantasie", wird Frank Wedekind im Programmheftchen des Linzer Phönix-Theaters zitiert. Dort hatte am Donnerstag eine Fassung seiner "Lulu" Premiere, die der zügellosen Kindfrau eine sehr (selbst-)bewusste Lady an die Seite stellt.
Der Kunstgriff von Regisseurin Isabella Gregor ist geistreich: Sie lässt die klischeedurchtränkte "Lulu", das Kindweib schlechthin, nicht alleine agieren. Ihr zur Seite steht die erwachsene, die emanzipierte "Lulu". Das ist keine pure Männerphantasie mehr, hier ficht ein entschlossenes weibliches Wesen um ihren Platz in einer trüben Männerwelt. Martina Schwabenitzky und Doina Weber sind beide "Lulu": ein hemmungsloses, kokettes, gespenstisches Duo - von Andrea Hölzl in schreckliche Kostüme gepfercht.
Die Männer werden von so viel nervöser Frauenpower überrollt. Klaus Beyer, Helmut Fröhlich, Werner Landsgesell und Sebastian Pass verglühen in einer überhitzten Theatralik wie Sternschnuppen in ihren gutbürgerlichen, dunkelbraunen Anzügen. Sie haben dieser Frau wenig entgegenzusetzen - was die Sache im kühl-funktionalen Bühnenbild von Andreas Mathes ein wenig eindimensional und matt macht.
"LuLu" nach Frank Wedekind hatte am vergangenen Donnerstag im Linzer Theater "Phönix" Premiere. Was als radikale Neuinterpretation angekündigt worden war, zeigte sich als kluge und in sich logische Bearbeitung des mehr als hundert Jahre alten Stückes in der Regie von Isabella Gregor. Darin treibt die Hauptfigur Lulu ihre vier Ehemänner nacheinander zuerst in den Wahnsinn und dann in den Tod.
Besonders gelungen ist das Experiment, Lulu doppelt zu besetzen (Martina Schwabenitzky, Doina Weber). Die männerfressende Femme fatale wird somit besser ausdifferenziert, die Handlung insgesamt spannender.
Andreas Mathes' Bühnenbild ist einfach und genial, Lulus Kostümfundus zwar gut durchdacht (jede der beiden Figuren hat einen Teil des Kleides an), aber hässlich. Insgesamt eine gute, streckenweise schrille Inszenierung mit Längen. Wo allerdings der radikal neue Interpretations-Ansatz versteckt ist, blieb zumindest mir verborgen.
Die Phönix-Inszenierung von Frank Wedekinds "Lulu" geriet zu anspruchsvoller, mitunter recht sperriger Theaterkost.
Freundlicher, aber doch eher verhaltener Applaus des Premierenpublikums beschloss vergangene Woche die erstmalige Aufführung von "Lulu" im Theater Phönix. Recht streng, den Blick aufs Detail meidend, stürzt Regisseurin Isabella Gregor die Figuren von einem Liebesdrama ins nächste. "Ich kann nicht allein sein", schluchzt Lulu nach dem Freitod des Malers Schwarz, der ihr doch zuletzt mehr Last als Lust geworden war, ehe sie sich in die Arme des Verlegers Dr. Ludwig Schön begibt, um diesen schließlich mit der Pistole aus dem Weg zu räumen, als er seelisch an der Beziehung mit Lulu zu zerbrechen droht.
Im internen Duett der Lulu agieren Martina Schwabenitzky und Doina Weber, deren Spiel im Fortgang des Stücks Lulu zusehends den Stempel aufdrückt. Sehr intensiv stellt sich der Auftritt von Werner Landsgesell als Walter Schwarz und Klaus Beyer als Dr. Ludwig Schön dar. Sebastian Pass und Helmut Fröhlich komplettieren als Alwa Schön und Medizinalrat Goll das Männerquartett, das vergeblich versucht, Lulu zu zähmen.
Gut gelungen ist das Bühnenbild von Andreas Mathes, das den Akteuren zugleich Plattform, aber auch schiefe Ebene ist, die im Fortlauf des Stücks immer wieder aus den Fugen gerät und in dem sich Alwa Schön mit Lulu am Ende vor den Trümmern seiner Existenz findet. Im Hintergrund wacht ein überdimensionales, kindlich schönes Antlitz, das sich ebenso von Szene zu Szene verliert.
Das Theater Phönix zeigt derzeit Frank Wedekinds Tragödie „Lulu“ über die verführerische Kindfrau und „femme fatale“, die die Männer reihenweise ins Verderben stürzt und am Ende selbst tief fällt – so lautet zumindest die gängige Interpretation.
Regisseurin Isabella Gregor wählt einen etwas anderen Zugang zu dem vor 100 Jahren entstandenen „Monsterdrama“. Sie hat die Hauptrolle geteilt und stellt gleich zwei „Lulus“ auf die Bühne, um mehr den inneren Kampf und die inneren Versuchungen der Lulu zu zeigen: „Wo befinde ich mich in der Realität, wo befinde ich mich in meinem Traum, das kann man mit zwei Lulus sehr gut zeigen.“ Trauriges Schicksal
Über Lulu schwebt, wie Frank Wedekind im Vorwort zum zweiten Teil schreibt, ein furchtbares Verhängnis, das irgendwo in Deutschland seinen Lauf nimmt. Doktor Schön, Chefredakteur einer Zeitung, liest die jugendliche Lulu von der Straße auf und macht sie zu seiner Geliebten.
Doktor Schön ist Lulu rettungslos verfallen. Die beiden Männer, mit denen er sie verheiratet, kommen um. Lulu erschießt Doktor Schön. Über Paris gelangt sie nach London, wo sie schließlich von Jack the Ripper ermordet wird.
Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Moral
Frank Wedekind, einer der Wegbereiter des Expressionismus, setzt sich in „Lulu“, das als sein wichtigstes Werk gilt, kritisch mit der bürgerlichen Moral auseinander. Mit der Figur der Lulu, der „Urgestalt des Unheil bringenden Weibes“, hat er einen Mythos geschaffen, der durch Zensurprozesse und zahlreiche Verfilmungen genährt worden ist.
Regisseurin Isabella Gregor zeichnet in Linz eine sehr vielschichtige Lulu-Figur: „Ich würde sie als eine reflektierende Frau beschreiben, eine sehr spontane Frau, als eine, die mit ihrem Körper sehr positiv umgehen kann, die teilweise ihre Emotionen sehr genau zeigen kann, ohne sie zu verstecken, die sehr direkt ist, und sich wirklich und tatsächlich in ihr Schicksal begibt, offenen Auges.“
Wie sieht Frau sich selbst?
Isabella Gregor lässt die Figur der Lulu im Laufe der Aufführung eine radikale Entwicklung durchmachen: von der verspielten triebhaften Kindfrau hin zu einer selbstbewussten und nach Unabhängigkeit strebenden Frau.
Lulu ist immer interpretiert worden als femme fatale, als Kind, Isabella Gregor zeigt sie als Frau in unserer Gesellschaft. Sie versucht, die Frau in unserer Gesellschaft zumindest zu hinterfragen: „Muss man sich wirklich operieren lassen, ist das wirklich notwendig, um als Frau zu bestehen? Ist es wirklich notwendig, bestimmten Mustern nachzulaufen, um als Frau positiv gewertet zu werden? Von wem wird man gewertet und wie sieht man sich selbst? Dieser Punkt ist in jeder Epoche interessant, und natürlich ganz extrem in unserer Zeit.“
Rasante Inszenierung
Die Linzer Lulu-Inszenierung beruht auf der so genannten Urfassung. Aus dieser Urfassung entwickelte Frank Wedekind die beiden Stücke „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“, die dann als „Lulu“ - Tragödie bekannt geworden sind und auf denen auch Alban Bergs gleichnamige Oper beruht.
Im Linzer Theater Phönix ist eine stark gekürzte Fassung zu sehen, der zweite Teil, der in Paris und London spielt und den tiefen Fall Lulus beinhaltet, wird nur angedeutet. Eineinhalb Stunden dauert die rasante Linzer „Lulu“-Inszenierung, der Überlebenskampf einer Frau in einer von machtbesessenen Männern dominierten Welt.