Ein guter Artikel darüber, was uns klimatechnisch erwartet und was wir tun können, um unsere Städte lebenswert zu halten.
Die meisten Klimamaßnahmen haben positive akustische Effekte auf Städte. Um dabei erfolgreich gestaltend zu sein, braucht es eine Emanzipation von Lärmschutz zur gestaltenden Akustischen Ökologie.
Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass sich extreme Wetterphänomene häufen. Dies spiegelt sich auch in den Medien, die voll sind mit Berichten über Dürren, Starkregen, Überschwemmungen, Stürmen und Temperaturrekorden in die eine oder andere Richtung. Allgemein werden diese Erscheinungen mit dem menschengemachten Klimawandel in Verbindung gebracht. Oft entsteht fast so etwas wie „Klimaangst“. Diese Gemengelage führt jedenfalls dazu, dass in immer mehr Städten Klimaschutzmaßnahmen erdacht und umgesetzt werden. In der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz beispielsweise werden diese von einer Klimastabsstelle koordiniert und einem Klimafonds finanziert. Die Bundeshauptstadt Wien hat einen Klimarat installiert, der auch zwei „Sounding Boards“ aufweist. Wer glaubt, dies sei ein Zeichen, dass Akustik als natürlicher Teil der Ökologie betrachtet wird, wird enttäuscht. Denn die Bezeichnung kommt aus dem Berater-Sprech und meint nicht mehr als Beratergremium, obwohl es sich vom Schalldeckel der Predigerkanzel in den Kirchen ableitet. Das Wort kann aber auch als Menetekel dienen, was Reflexion im umfassenden Sinn bedeuten kann.
Wir reiben uns verwundert die Augen in Anbetracht der nun diskutierten Maßnahmen. Denn der plötzliche Tatendrang bedient sich zu einem Großteil des Instrumentariums der Akustischen Ökologie. Sie könnte damit also als integraler Bestandteil von Ökologie insgesamt bewusst gemacht werden. Raymond Murray Schafer begann in den 1960er Jahren, Schall als (ökologische) Ressource zu denken, so wie etwa Luft, Boden und Wasser. Der – bei Schafer von erheblichen Veränderungen in der „akustischen“ Lebensumwelt angestoßene – Grundgedanke ist, dass wir für die Soundscapes, in denen wir leben, gesellschaftlich Verantwortung tragen, weil sie auch ein Raum der Politik, der Ordnung und der Machtverhältnisse sind (damit u.a. auch identitätsstiftend). Kurz: Soundscapes machen auf vielfache Weise etwas mit uns, daher ist unsere akustische Umwelt ein Feld der Ökologie wie andere Bereiche menschlicher Umweltbeziehung auch. Damit aber ist es gekennzeichnet als Feld insbesondere auch der aktiven Gestaltung und Obsorge – wir sollen nicht nur „abwehrend“ z.B. durch Lärmschutz reagieren, sondern uns bewusst um die „Orchestrierung“ der (Um-)Welt kümmern. Daran schließt sich die Frage, welche „Schall-Bedürfnisse“ Menschen haben: Kommunikation (Reden und Hören), Erinnerung, Orientierung und Souveränität sowie Gesundheit und Wohlbefinden. Dabei wird ersichtlich, welch große Rolle die Ressource Schall insbesondere auch für die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben spielt.
Wer nicht hören will, muss fühlen, wird hier eindrucksvoll vorgeführt.
Die zum Schutz des Klimas angelaufene Transformation des Lebensraumes Stadt verändert auch die akustischen Bedingungen und Verhältnisse. Sie machen die Städte leiser und gleichzeitig akustisch vielfältiger, reicher und gesünder. Es ergibt sich die Chance zur Steigerung der Wohn- und Lebensqualität und damit der Aufenthaltsqualität in der Stadt, während die Belastungen durch chronischen Lärmstress sinken.
Die zentralen Gestaltungsbereiche sind Mobilität, Wasser, Grünraum und Bauen. Es geht dabei um so chancenreiche Themen wie die Förderung von Elektro- und sanfter Mobilität, um Verkehrsberuhigung, Fassadenbegrünung, Baumpflanzungen, Bodenentsiegelung und die Renaturierung von Gewässern. Auch der Abschied von hochreflektierenden Fassaden – meist aus Glas – ist auf einmal denkbar. Viele Jahre galten sie als Zeichen moderner städtischer Entwicklung, obwohl jeder hören konnte, welche Noise-Canyons dadurch entstanden. Wer nicht hören will, muss fühlen, wird hier eindrucksvoll vorgeführt.
Und hier kommen wir zur Krux von Klima und Akustik. Wer diese Veränderungen aus akustischer Perspektive fördern und begleiten möchte und so zahlenfixiert wie bisher agiert, wird scheitern. Weil die ökologischen Verbesserungen nicht messbar belegbar sein werden. Im Gegenteil: der Wust an Zahlen wird das Vorhaben unglaubwürdig machen.
Wenn wir aber Architektur und Akustik resp. Akustische Ökologie auf die gleiche Ebene heben, ergeben sich neue Chancen. Niemand argumentiert in einer Architekturjury mit Messergebnissen für oder gegen ein Projekt. Ins Treffen werden ästhetische Argumente geführt: Verhältnisse, visuelle Eindrücke, Erfahrungen. Und auf die gleiche Weise muss Akustik vermittelt, begründet und gestaltet werden. Sie stellt einen elementaren Lebensbereich des Menschen dar, ist sie doch nichts anderes als Luft. Durch das menschliche Reden und Handeln wird sie in Bewegung gesetzt und von den Bauten reflektiert.
Je vielfältiger die Klänge in der Stadt, desto lebendiger. Je vielfältiger die Reflektionen umso lebenswerter. Das erklärt den akustischen Mehrwert von sanfter Mobilität, Verkehrsberuhigung, Fassadenbegrünung, Baumpflanzungen, Bodenentsiegelung und die Renaturierung von Gewässern, ganz einfach. Messtechnisch wird das nichts werden.
Es gibt genügend andere Methoden, belastbare und nachvollziehbare Aussagen zu vermitteln. Umweltindikatoren etwa sind von grundlegender Bedeutung für das Aufzeigen von Entwicklungen in den einzelnen Umweltbereichen, wie z.B. die Entwicklung der Luftschadstoffemissionen. Gewisse Wasserorganismen – wie Flusskrebse – sind untrügliche Indikatoren der Gewässergüte.
Die Spatzen sind das in der Stadt. Ihr rasanter Rückgang ist einfach erklärbar: Versiegelung, Verdichtung, Glas. Spatzen brauchen viele verschiedene Körner, die sie in offenen Böden finden, genauso die Insekten für die Aufzucht der Jungen. Für den Nestbau brauchen sie vielfältiges Material von Bäumen und strukturierte Fassaden, also Nischen, Bögen, Verstecke. Wer Spatzspezialist wird, wird automatisch Klimaspezialist für die Stadt. Wer genau zuhört, erfährt oft mehr von der Welt als der, der genau hinsieht. Und wer wie Bernie Krause die Klangwelt der Spatzen versteht, hat untrügliche Parameter für den akustischen und klimatischen Zustand des städtischen Grätzels.
Der Doyen der amerikanischen Akustik-Ökologen hat bei TEDGlobal 2013 eine beeindruckende Studie über den ökologischen Zustand eines Gebietes in Kalifornien präsentiert. Nutzen wir die Chance und wagen wir den Sprung in eine neue Hörwelt. Denn es braucht eine selbstbewusste Veränderung von Lärmschutz oder – noch absurder – Schallschutz zu einer ästhetischen Disziplin in Stadt- und Raumplanung.
Und das ist die Akustische Ökologie.
Peter Androsch