\"Katja: Warum lügen Sie?
Pierre: Ich stelle Ihnen Fragen.
Katja: Sie finden, dabei darf man lügen?
Pierre: Ich bin Journalist.\"
Pierre Peters‘ Stimmung ist auf dem Nullpunkt. Statt über die aktuelle Regierungskrise zu berichten, soll der erfahrene Politredakteur und Kriegsberichterstatter das junge Soap-Sternchen Katja Schuurman interviewen. Dass sie ihn auch noch eine Stunde warten lässt, bringt ihn vollends in Rage. Doch was als journalistische Fingerübung gedacht war, entwickelt sich mehr und mehr zu einem psychologischen Kampf, in dem Frager und Befragte ebenbürtige Gegner sind. Und beide ziehen alle Register, um hinter die Masken zu blicken und die verborgenen Geheimnisse des anderen zu enthüllen.
Ein packendendes Kammerspiel basierend auf dem vorletzten Film des umstrittenen und 2004 ermordeten holländischen Regisseurs Theo van Gogh, in dem die Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen.
Beziehungsstück „Das Interview“ im Linzer Theater Phönix
Pierre macht mit Katja ein Interview. Es wird ein Kampf daraus, um die interessantere Biografie, um Wahrheit und Lüge, um Liebe. Der niederländische Journalist Theo van Gogh rechnet in „Das Interview“ mit der Skandalsucht unserer Gesellschaft ab. Eine grandiose Inszenierung im Linzer Theater Phönix!
Sie suchen Grenzen bei sich und beim anderen, sie fühlen nichts und alles ist ein Spiel. Sie ist das verdrehte Filmsternchen Katja und er der abgehalfterte Kriegsreporter Pierre. Beide sind medien- und karrieregeil, jeder auf seine Art. Diese Psychologien sind der Ausgangspunkt für „Das Interview“, einen Film von Theo van Gogh. Der niederländische Journalist, der selbst in seinen TV-Sendungen auf seinen Provokationen setzte, wurde vor zehn Jahren von einem islamischen Fundamentalisten ermordet.
Nun übertrug Stephan Lack den Film in ein bühnentaugliches, eindringliches Kammerspiel, in dem Lisa Schrammel (Katja) und Simon Jaritz (Pierre) etwas andere als graue Schattierungen in der zwischenmenschlichen, erotischen Beziehung zeigen. Schauspielerisch einzigartig gelingt den beiden ein Spiel im Spiel, das zwei Grenzgänger in jeder Minute aufeinanderprallen lässt. Ihre Waffen sind ein Gespür für die Narben des anderen, wobei auch hier Wahrheit und Lüge zunehmend verschwimmen.
Das macht den unheimlichen Sog aus. Zum Schluss wirken die beiden wie Hülsen, wie Untote, denen der Boden unter den Füßen völlig abhanden gekommen ist. Josef Maria Krasanovsky führt als Regisseur die beiden Schauspieler zu wunderbaren Leistungen. Ein herrliches Bad der Gefühle, mit Sound von Wolfgang Peidelstein und einer Bühne im Retro-Style von Fabian Lüdicke.
Premiere von „Das Interview“ nach Theo van Gogh am Linzer Theater Phönix
Glaubwürdig müssen sie sein, die Storys, die die Welt hören will. Das lernt jeder Journalist, das weiß jeder Schauspieler. Wenn zwei Profis in Sachen Geschichtenerzählen aufeinandertreffen, kann es nur einen Sieger geben.
Theo van Gogh, umstrittener und 2004 von einem islamistischen Fundamentalisten hingerichteter Filmemacher aus den Niederlanden, war Experte dieses Machtspiels. 2003 realisierte er den Film „Das Interview“, am Dienstag brachte Regisseur Josef Maria Krasanovsky den Stoff in Linzer Theater Phönix.
Sie wechseln die Plätze, wechseln die Rolle
Es ist der Tag, an dem die niederländische Regierung zurücktritt. Beim Massaker von Srebrenica, bei dem 8000 Muslime getötet wurden, griffen die Blauhelme aus den Niederlanden nicht ein. Eine Story, die um die Welt gehen wird. Doch Redakteur Pierre Peters (Simon Jaritz) ist nicht am momentanen Nabel der Welt, sondern in der Wohnung des Fernsehsternchens Katja Schuurman (Lisa Schrammel). Ein Interview soll gemacht werden. Schnell verliert alles die gewohnte Form, die Beteiligten die Fassung. „Ich stelle die Fragen!“ Doch erzählen tut er auch viel, der Kriegsreporter. Von zerfetzten Körpern und seiner toten Tochter. Sie wechseln die Plätze, sie wechseln die Rollen. Demütigung, Unterwerfung, Verführung. „Ich werde sie nicht verführen, Pierre Peters vom Politikressort.“ Sie kann sich jedes Leben überstülpen. Krasanovsky lässt die beiden auch mit Sonnenbrillen singen, „Woman Like a Man“ von Damien Rice zum Beispiel.
Alle Register ziehen die beiden, wenn sie „ihre““ Geschichten erzählen. Was interessiert es uns, was dahintersteckt? Unterhalten, emotional packen und treffen sollen die Geschichten, die wir konsumieren. Eine nachmittägliche TV-Serie oder eine Reportage aus einem Kriegsgebiet. Bitte mit Herz, bitte authentisch. Das ist ihre Welt, an deren Regeln sich Katja und Pierre halten. Auch im Privaten, im Intimen. Geschichten erzählen, um sich selbst zu erzählen. Die beiden Darsteller Lisa Schrammel und Simon Jaritz haben jedoch genau hier ihre Probleme. Wo es für den Theaterbesucher darum geht, sich von den Versuchungen um Authentizität blenden zu lassen, sie an anderer Stelle zu durchschauen, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen, lassen Schrammel und Jaritz im Stich. Die Nuancen fehlen, die den Zuseher in diese prekäre Beziehung eintauchen ließen. Krasanovsky hält sich in seiner Inszenierung zurück, lässt den beiden Darstellern Raum, sich einander zu stellen. Die weiße moderne Wohnung, die für kaum mehr Platz findet, als für eine große Portion Kokain, tut ihr Übriges (Bühne: Fabian Lüdicke). Die zur Verfügung gestellten Möglichkeiten nutzen die Darsteller jedoch nur in Phasen. So viele Gefühle hätten Platz, das Haareraufen reicht da nicht.
„Das Interview“ nach Theo van Gogh im Linzer Theater Phönix
Pierre ist 45, Katja 25. Er ist ein zynisch gewordener, ehemaliger Kriegsreporter, jetzt Politik-Redakteur. Sie ist ein erfolgreiches Filmsternchen in Soap-Serien. Er ist sauer, weil er einspringen muss und „zwei Titten, die keinen geraden Satz herausbringen“, interviewen soll. Katja ist sauer, weil sie merkt, dass er unvorbereitet zum Interview gekommen ist und keine Ahnung hat, in welchen Filmen sie mitspielt.
Zynisches Kammerspiel
Theodor Holman hat nach dem 2003 entstandenen Film des 2004 von einem religiösen Fanatiker ermordeten Theo van Gogh die Bühnenfassung für „Das Interview“ geschrieben. Ein böses Kammerspiel der schnellen Schlagabtäusche, der Ping-Pong-artigen Dialoge. Und das muss schon in einem sehr gut getimten Tempo und in fein abgestimmtem Tonfall gespielt werden, um diesen auch grausamen Krieg der Worte bis zum Ende in Spannung halten zu können.
Regisseur Josef Maria Krasanovsky setzt auf Tempo, überschreitet in seiner Personenführung dabei aber immer wieder und zu oft die Grenze zur Hyperaktivität und Hysterie. Lisa Schrammel als Katja mimt das Kokain einsaugende TV-Sternchen im kecken Mini-Fummel aufgedreht wie ein Duracell-Haserl, nervt aber im Laufe der eineinviertel Stunden Spieldauer mit ihrer ständigen Überdrehtheit. Simon Jaritz als mittelalterlicher Pierre in jugendlichem Hipster-Outfit nimmt man den ehemaligen Kriegsberichterstatter, der alles und jeden verachtet, nicht so recht ab – so wie auch den Altersunterschied zwischen den beiden. Je ruhiger und leiser Jaritz wird, desto gefährlicher und gemeiner wirkt er. Doch ihm fehlt das letzte Quäntchen Perfidie in diesem nicht nur verbalen Nahkampf. Es ist kein Interview, sondern ein Krieg mit Worten. Was ist wahr? Was ist gelogen? Wie kann man dem anderen noch mehr wehtun? Und noch ärger verletzen? Ein Spiel mit überraschenden Wendungen und einem verblüffenden Ende. Der Spannungsbogen aber hängt immer wieder mal durch.
Das Bühnenbild von Fabian Lüdicke nutzt geschickt den kleinen Raum am Balkon und zeigt ein steriles Wohnungsambiente im Retro-Look. Der Soundtrack von Wolfgang Peidelstein pendelt geschickt im ab und zu aufflackernden Emotionsbereich.