Streaming-on-Demand ab 19. Februar, 19.00 Uhr bis 21. März Verkaufab 15. Februar Onlineticket: € 9,00
Hier halten schon lange keine Schnellzüge mehr, und den Bürgerinnen und Bürgern der Kleinstadt Güllen bleibt nichts anderes, als den vorbeirasenden Zügen hinterherzuschauen und den Niedergang der Stadt zu beklagen. Das trostlose Blatt scheint sich zu wenden, als Claire Zachanassian als steinreiche Frau in ihren Heimatort zurückkehrt. Alfred Ill, beliebtester Bürger der Stadt und Claires Jugendliebe, soll dafür sorgen, dass die Milliardärin Geld lockermacht. Doch Claire Zachanassian hat eigene Pläne. Sie will sich an Ill rächen, der sie einst schwängerte, die Vaterschaft jedoch leugnete, und macht der Stadt ein unglaubliches, wenn auch ganz und gar unmoralisches Angebot: hundert Milliarden für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet. Ein Angebot, das die Bürgerinnen und Bürger zunächst entrüstet zurückweisen. Aber wie lange noch können sie der Versuchung und der eigenen Gier widerstehen?
Friedrich Dürrenmatts zeitloses Meisterwerk über Verlogenheit, Korrumpierbarkeit und Unmoral, das ihm 1956 zum internationalen Durchbruch verhalf, macht auch nach über 60 Jahren nach dessen Uraufführung mehr als deutlich: Güllen ist überall.
Premiere: Linzer Theater Phönix spielt „Der Besuch der alten Dame“ von Dürrenmatt
Am Bahnhof warten die honorigen Herren auf Claire Zachanassian. Leider kommt die steinreiche alte Dame im Hubschrauber, was das Empfangszeremoniell empfindlich stört. Immerhin stellt Claire den erhofften Geldsegen für die darniederliegende Stadt in Aussicht. 100 Milliarden, allerdings unter einer Bedingung. Die Welt hat sie zur Hure gemacht, höhnt die Zachanassian, jetzt macht sie die Welt zum Bordell. Die Stadt heißt lautmalerisch Güllen, sie war einst stolze Kulturstadt, ja sogar Kulturhauptstadt. Unverkennbar Linz, Güllen ist im pessimistischen Welt- und Menschenbild des Friedrich Dürrenmatt überall möglich. Zeitlos der Stoff von „Der Besuch der alten Dame“ (Uraufführung 1956), das Linzer Theater Phönix gibt dem Klassiker des Schweizer Dramatikers die Sporen. Poppiges und packendes Drama, heftig akklamierte Premiere war am Donnerstag.
Walter Ludwig als Alfred Ill der Übeltäter, der vor 45 Jahren auf die Liebe der 17-jährigen „Kläri“ pfiff. Hochschwanger flüchtete die spätere Claire aus der Stadt, begleitet von spöttischen Blicken der Mitbürger. Der Ölmagnat Zachanassian las sie im Bordell auf, mittlerweile steuert Claire auf ihre achte Ehe zu. Jetzt fordert sie „Gerechtigkeit“, den Kopf des Ill.
Psychologische Abgründe
Regisseur Andreas Baumgartner macht Tempo, arbeitet die Komödiantik heraus und lässt genüsslich die psychologischen Abgründe wirken. Eindringliche Szenenbilder wie in einer Graphic Novel, die Handlungsorte hinter einer Hausfassade erinnern an die Fenster auf einem Computerbildschirm. Ein Bühnenpreis für Michaela Mandels Bühne! Dem Ill kann man beim seelischen Verfall zuschauen. Alle Güllener kuschen vor dem Mammon, sogar seine Frau, eine ihm längst entfremdete Nadine Breitfuß. Tom Pohl als Lehrer kassiert viele Lacher, sein „Humanismus“ zerbröselt, er besäuft sich. Witzig auch Anna Maria Eder, die stoisch-strenge Anwältin Claires. Der Polizeiobere (Stefan Lasko) war von Anfang an auf der Seite von Madame, der aalglatte Bürgermeister (ganz stark: Martin Brunnemann) schwingt slimfitte Reden. Sven Sorring als virtuos heuchlerischer Pfarrer suhlt sich in Ills Angst vor dem mordlüsternen Mob: Nicht die Menschen, sondern Gott sollst du fürchten! Die pure Freude, Ingrid Höller bei der Arbeit zuzusehen. Als Claire Zachanassian, eine verfallene Jet-Set-Diva mit riesigen Sonnenbrillen, verfolgt sie vom Balkon aus stumm, wie die Mechanismen des ungut Menschlichen greifen.
Sensationell die zweite Waldszene mit Ill, als all die Verzweiflung des 17-jährigen Mädchens aus der kaputten alten Frau quillt. Die Wunde ist noch frisch. Im kalten Neonlicht fällt ein Schuss, Ill sinkt tödlich getroffen zu Boden. Geld ist Gott, manchmal auch Göttin. In den langen Applaus mischte sich Getrampel, das Phönix hat einen Theater-Hit gelandet.
Saisonstart im Theater Phönix in Linz / Premiere von „Der Besuch der alten Dame“ / Starke Leistung des Ensembles:
„Der Besuch der alten Dame“, naja, nicht grade einfallsreich, könnte man sich zu dieser Stückwahl des Theater Phönix in Linz denken - tatsächlich wurde die Premiere des Klassikers von Dürrenmatt zum Saisonstart aber ein kurzweiliger und lohnender Theaterabend mit starker Leistung des ganzen Ensembles.
Kann man sich Gerechtigkeit kaufen? Wie viel ist ein Mensch wert und sinkt sein Wert, wenn er selber moralisch fragwürdig handelt? Es sind grundsätzliche Fragen wie diese, um die Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ kreist. Die reiche Claire Zachanassian bietet ihrem Heimatdorf Güllen Reichtum gegen den Mord an ihrem Ex-Geliebten Alfred, der sie einst ins Verderben gestürzt hat.
Die Inszenierung von Andreas Baumgartner ist düster und bissig, bildet den moralischen Verfall des Dorfs ab, ohne die Einzelschicksale zu vergessen. Ingrid Höller gefällt vor allem in den eisigsten Momenten ihrer Claire, wenn sie den mal hündischen, mal wütenden Alfred Ill (Walter Ludwig) immer wieder genüsslich anrennen lässt. Köstlich Sven Sorring als schleimiger Pfarrer, Stefan Lasko macht sowohl als Polizist als auch als Journalist gute - oder eben fragwürdige - Figur. In weiteren Rollen: Anna Maria Eder als Anwältin, Nadine Breitfuß als Frau III und Malerin, Martin Brunnemann als Bürgermeister, Thomas Pohl als Lehrer. Michaela Mandel zauberte dazu eine Bühne, so verschachtelt wie das Dilemma, die Kostüme kamen von Natascha Wöss. Nach knackigen eineinhalb Stunden ist das Urteil gefällt und jeder Zuschauer bleibt mit einem Fragezeichen zurück - wie hätte ich entschieden?
Theater Phönix: Premiere von Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ mit großen Momenten, aber ohne Neuinterpretation
Bleich sitzt sie auf der Parkbank. Es ist Claire Zachanassian, die Milliardärin. Neben ihr Alfred Ill, der ihre Liebe vor vielen Jahren in den Dreck zog, und sie gleich mit - und den sie, verdammt, noch immer liebt. Zitternd zieht sie an der Zigarette. „Ich liebte dich“, schreit sie in die Welt hinaus. „Du hast mich verraten.“ Sie ist so verletzt, so zerstört, dass seither alles nur noch einem Ziel gilt: Irgendwann diesen Alfred Ill zu vernichten. Jetzt ist der Zeitpunkt da, Ill wird bald sterben. Sie steht auf, knickt ein. Und geht.
Dies ist einer der großen Momente in der Premiere von Friedrich Dürrenmatts Komödie „Der Besuch der alten Dame“ am Donnerstag im Linzer Theater Phönix. Mit einer winzigen Bewegung, dem eingeknickten Bein, sagt Ingrid Höller als Claire Zachanassian alles. Die Verletzung durch Ill wird nie heilen, egal wie viele Milliarden sie auf seine Ermordung aussetzt.
Die Milliardärin und die Moral
Dürrenmatts Stück ist spannend, wie ein Thriller. Nach Jahrzehnten in der Fremde kehrt Claire als Milliardärin zurück in ihre verarmte Heimatstadt, begrüßt von Bürgermeister (Martin Brunnemann) und Prominenz (Sven Sorring als Pfarrer, Tom Pohl als Lehrer, Stefan Lasko als Polizist). Sie bringt ein unglaubliches Angebot mit: 100 Milliarden, 50 für die Stadt, 50 verteilt auf alle Familien. Unter einer Bedingung: Ill muss sterben. Sofort wird entrüstet abgelehnt, doch die Stimmung schlägt schleichend um. Die Einwohner (u.a. Nadine Breitfuß, Anna Maria Eder) kaufen immer mehr ein, bis sie so verschuldet sind, dass ihnen nur noch übrig bleibt, Ill zu töten. Sein Verrat an Claire, in der Jugend ihr gemeinsames Kind zu verleugnen, kommt ihnen gerade recht.
Regisseur Andreas Baumgartner zeigt einen tadellos aufbereiteten Klassiker. Er hat das Stück auf den 90-Minuten-Kern eingedampft. Aber: Ein Weiterdenken, eine Interpretation für die heutige Zeit leistet er nicht. Gut gemacht, wenig gewagt. Wäre aber nicht genau das der Anspruch des Phönix? Klassiker darauf zu untersuchen, was sie uns heute sagen - abseits des Aufzeigens, wie schnell der Mensch durch Geld korrumpierbar und wie leicht die Moral zum eigenen Vorteil verdrehbar ist?
Genialer Angelpunkt der Inszenierung ist das zweistöckige Multifunktionshaus (Bühne: Michaela Mandel), das sich wahlweise in Laden, Wohnung, Balkon, Polizeistation, Rathaus oder Kirche verwandelt. Das Ensemble, das zu Beginn teilweise etwas hilflos auf der Bühne steht, spielt sich schnell warm. Walter Ludwig zeigt einen Ill, dessen panische Todesangst geradezu körperlich spürbar ist. Umso komischer, wenn Lehrer Tom Pohl als moralisches Gewissen der Stadt im Alkohol ertrinkt.
Fazit: Düstere, atmosphärisch dichte Klassikerbearbeitung mit großen Momenten. Neue Sichtweisen auf die Geschichte fehlen aber.