Es ist der heldenepische Stoff des europäischen Mittelalters, den Friedrich Hebbel, nach langer Zeit des Vergessens, im 19. Jahrhundert wiederentdeckte und zu einem großen Trauerspiel verarbeitete: die Nibelungensage.
Der Drachenbezwinger Siegfried, vermeintlich unverwundbarer Held, der im Besitz des sagenhaften Nibelungenschatzes ist, hält am Burgunderhof König Gunthers um die Hand der Prinzessin Kriemhild an. König Gunther gewährt ihm diese allerdings nur, wenn Siegfried ihm wiederum bei der Werbung um die unbezwingbare, jungfräuliche Brunhild, Königin von Island, beisteht. Siegfried geht den Pakt mit den Burgundern ein: Mittels seiner Tarnkappe bezwingt er Brunhild für Gunther und erhält Kriemhild zur Frau. Doch der Betrug fliegt auf und auf die Tat der Männer folgt die Rache der Frauen: zu Tode gekränkt fordert Brunhild Siegfrieds Tod. Der Burgunder Hagen Tronje, dem Siegfried schon immer ein Dorn im Auge war, ermordet ihn heimtückisch von hinten. Nun schwört Kriemhild ihrerseits Rache und kann nach ihrer Verheiratung mit Etzel, dem König der Hunnen, die Burgunder an dessen Hof locken. Am Ende steht ein Krieg, den kaum einer überleben wird.
Autor und Regisseur Volker Schmidt bearbeitet die Tragödie um Liebe und Hass, Stolz und Scham und Neid und Betrug, an deren Spitze gnadenlose Rache und der Tod stehen.
Alle verfügbaren Hüte ab: vor dieser gelungenen Kurzfassung eines Textes, den Autor Hebbel selbst ein „Monstrum in elf Akten“ nannte, vor dem auch athletischen Können des Ensembles, vor der genialen Idee, die „Nibelungen“ in einem Turnsaal zum Kampfe antreten zu lassen! Großes Vergnügen im Linzer Theater Phönix.
Wenn König Gunther samt Trillerpfeife den Hechtsprung auf die Matratze wagt, um mit Brunhild die Ehe zu vollziehen... Wenn Kriemhild in den Ringen schwebt und auf Siegfried landet... Wenn die Burgunder im Viergesang „Wahre Freundschaft“ intonieren... Es ist einfach genial, was sich Regisseur Volker Schmidt einfallen hat lassen zu diesem 1861 entstandenen Drama um Liebe, Eifersucht, Intrige, Mord, Rache und die sprichwörtliche Nibelungentreue. Siegfried will Kriemhild, das wiederum nutzt Gunther aus, um Brunhild zu bekommen. Hagen will Siegfrieds Kopf, Kriemhild will Hagens Tod. Und am Ende sind alle tot.
Volker Schmidt hat den Plot enorm eingedickt. Das hilft sogar zum Verständnis dieser Uralt-Sage um die Nibelungen, die – von Pathos und Nazivereinnnahmung befreit – spannend und witzig erzählt wird. Schmidt lässt in einem Turnsaal spielen: Bühnenbildner Georg Lindorfer hat den Theatersaal der Länge nach eingerichtet und ihn mit allen Gerätschaften eines miefigen Schulturnsaals ausgestattet. Hier tragen Siegfried und die starken Männer ihre Kämpfe aus.
Und wie sie das tun! In einem von Trainer Helmut Hödlmoser einstudierten Turntheater der Extraklasse! Sie hüpfen Salto, springen Bock, hängen an den Ringen, marschieren im Gleichschritt und heben die Hand zum Gruße. Und das Publikum beansprucht drei kurzweilige Stunden lang die Muskelpartie rund um das Zwerchfell.
Trotz aller Heiterkeit gelingt Schmidt perfekt die Balance zwischen Spaß und Ernst. Im zweiten Teil wandelt sich der Turnsaal zu einem Loft, von dem aus Hunnenkönig Etzel – diesfalls ein unserer Zeit entsprechender mächtiger russischer Oligarch – sein Imperium ausbaut. Bei Etzel passiert dann das endgültige Gemetzel.
Ein Glücksgriff ist Maximilian Löwenstein als Siegfried: abenteuerlustiger Superheld und naiver Kindskopf. Ferdinand Kopeinig wieselt einen flotten Gunther hin, Theo Helm (Volker) zeigt Sprungkraft, Simon Jaritz ist ein nicht ganz böser Hagen, Wenzel Brücher ein Giselher mit kleinem Dachschaden. Lisa Fuchs als Brunhild eine starke Walküre, Judith Richter wandelt sich vom scheuen Reh zur rachsüchtigen Kriemhild, Matthias Hack als Etzel hat das Zeug zum Mafioso. Doch das gesamte 12-köpfige Schauspielteam gehört auf das Siegerpodest! Bombastischer Filmsound hebt das Geschehen auf die Ebene von großem Kino. Bravo!
Friedrich Hebbels „Die Nibelungen“ im Linzer Theater Phönix
Ist ein Heldenepos wie die Nibelungensage, das von den nationalsozialistischen Herrschern vereinnahmt wurde, für das heutige Theater überhaupt noch relevant? Das Linzer Theater Phönix beantwortet die Frage mit Friedrich Hebbels „Die Nibelungen“ in der ausgezeichneten Regie von Volker Schmidt mit einem klaren Ja!
Volker Schmidt ist ein Meister des Erzählens. Er kürzte Hebbels Text auf einen klaren Handlungsstrang und schickt seine Helden in den Turnsaal, wo sie zeigen, was sie von Trainer Helmut Hödlmoser gelernt haben.
Turnerischer Wettstreit statt Kampf und Krieg. Damit persiflierte Schmidt ganz ohne lehrmeisterlichen Ton den NS-Missbrauch der Nibelungenhelden und der Körperkultur. Gleichzeitig hinterfragte die Inszenierung durchaus unterhaltsam die Nibelungentreue, ihr Entstehen, ihre Folgen. Der Hort der Nibelungen, unendlicher Reichtum, der alle in den Abgrund führt, wurde nach der Pause im Loft eines russischen Oligarchen (Bühne: Georg Lindorfer, Kostüme: Anna Katharina Jaritz) thematisiert. Dieses zentrale Thema hätte in Zeiten der Wirtschaftskrise etwas deutlicher Herausgestrichen werden können.
Schmidt verfügt über ein perfekt besetztes Ensemble: Maximilian Löwenstein ist ein naiver und gleichzeitig machtbewusster Held Siegfried, Ferdinand Kopeinig ein schwächelnder König Günther, Simon Jaritz\' Hagen zeigt menschliche Züge.
Weiters im Heldenbund: Wenzel Brücher und Theo Helm. Beeindruckend gelingt Judith Richter die Wandlung von Siegfrieds barbiehafter Braut zur rachsüchtigen Kriemhild. Eine erotische Brunhild ist Lisa Fuchs. Manolo Palma als Dietrich von Bern mit Schweizer Dialekt verkörpert den Neoliberalismus, der anstelle der Helden die Handlung vollendet.
Schade, dass sich Linz09 dieses Theaterprojekt entgehen hat lassen!
Es ist ein neckisches Bild, das Regisseur Volker Schmidt für die Ränkespiele in Hebbels Nibelungen gefunden hat: Die Burgunder sind junge Turner, ihre Wettstreite finden zwischen Barren und Bock statt. Und während Kriemhild (Judith Richter) noch mit Puppen spielt (so auch den Einstiegsdialog mit Mutter Ute), führt ihr Bruder Günther (Ferdinand Kopeinig) die fitten Recken mit dem Pfeiferl an. Er turnt vor, die anderen applaudieren untertänigst und machen es ihm, meist besser, nach.
Der Hof zu Worms ist ein Turnsaal (Bühne: Georg Lindorfer), der für reichlich Sport und Komik genutzt wird. Herrlich vor allem der dümmliche Siegfried (Maximilian Löwenstein), der sich via Sprungbrett ins Herz Kriemhilds katapultiert. Doch nachdem der blonde Überturner Brunhilde (Lisa Fuchs) für Günther auf die Matte gezwungen hat, ist in den Augen Hagens (Simon Jaritz) seine Schuldigkeit getan. Dem Meuchelmörder schwört die Burgundergilde, inklusive Volker (Theo Helm) und des Benjamins Giselher (Wenzel Brücher), Treue. Kriemhild ist entsetzt und sinnt auf Rache. Hagen jedoch tritt, die Hand zum Turnergruß erhoben, siegessicher in die Pause ab - zu den Klängen von Laibachs „Leben heißt Leben“.
Die gelungene Anspielung auf die NS-Rezeption des Nibelungenlieds findet danach ein Ende. Aus den Turnpatschen schlüpfen die Helden in feines Tuch - es gilt Kriemhild und ihren neuen Gatten Etzel (Matthias Hack) zu besuchen, Dieser wird bei Schmidt zum russischen Oligarchen, zu dessen Loftausstattung u. a. zwei Bodyguards und eine Vergnügungsschlampe zählen. Nicht zu vergessen der vermeintlich biedere Schweizer Geschäftsmann Dietrich von Bern (Manolo Palma) als Berater. Für Kriemhild wird der Berner zum Vollstrecker, im geschäftlichen Eigeninteresse tötet er auch sie. Der Kapitalismus lebe von der schöpferischen Zerstörung, wird Schumpeter etwas unvermittelt herbeizitiert.
Einem fulminanten ersten Teil folgte ein weniger konsistenter zweiter. Dennoch Premierenjubel.
Premiere: „Die Nibelungen“ von Friedrich Hebbel als bisher aufwendigste, dreistündige Produktion im Linzer Theater Phönix
Im „Nibelungenlied“, dem deutschen Nationalepos aus dem 12. Jahrhundert, klingt vieles an: Die „Weltenwende“ vom germanischen Heidentum zum Christentum; die (hier gescheiterte) Emanzipation der Frau; ja sogar der spätere Untergang Hitler-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg lässt sich hineininterpretieren - Stichwort „Nibelungentreue\'\'. Ob der Wiener Regisseur Volker Schmidt durch das neue Fitnessstudio vis-a-vis des Phönix zu der Idee inspiriert wurde, aus der burgundischen Königsfamilie eine Turner-Mannschaft zu machen, wissen wir nicht. Er hat der von Friedrich Hebbel um 1860 geschaffenen Dramatisierung damit jedenfalls Witz injiziert und den im mythischen Stoff enthaltenen Körperkult fit fürs dritte Jahrtausend gemacht. Er hat aus der Walküre Brunhild, die erst durch Vergewaltigung zur Ehe mit König Günther gebracht werden kann, eine lesbische Amazonen-Emanze gemacht und aus ihrer Vertrauten Frigga ihre Geliebte. Der Hunnenkönig Etzel ist hier, ebenso stimmig, ein russischer Oligarch, seine Recken sind Bodyguards.
Wer einen pathetischen Heldenschinken befürchtet hatte, wurde aufs Erfreulichste enttäuscht. Zumal Schmidt das Spiel um Reichtum und Macht, Recht und Rache rigoros ausgeforstet, auf zweieinhalb Stunden verschlankt, aber mit modernen, teils auch aufgesetzt wirkenden Textpassagen ergänzt hat. Zu spannungsgeladenem Groove und bisweilen melancholischen Songs (Musik: Wolfgang Peidelstein) entwickelt sich die Story vom Helden Siegfried, der König Günther hilft, Brunhild und im Tausch dafür selbst dessen Schwester Kriemhild zur Frau zu bekommen. Die Feindschaft beider Frauen führt zur geduldeten Ermordung Siegfrieds und zur blutigen Rache Kriemhilds an allen Burgundern. Georg Lindorfer hat dafür abseits barocker Bilderfülle zwei einnehmende Kulissen geschaffen, einmal eine authentische Turnhalle, nach der Pause das loftartige Domizil König Etzels. Judith Richter als Kriemhild fühlt sich darstellerisch in beiden wohl, überzeugend wandelt sie sich vom hässlichen EntIein zum ladyliken Racheengel. Ferdinand Kopeinig spielt den schwachen, aber eigentlich nicht schlechten König Günther ausgezeichnet über allen Klamauk hinweg. Maximilian Löwenstein, nur optisch ein Siegfried wie er im Buche steht, legt ihn mehr schüchtern als heldisch an. Seinen leicht sadistischen Mörder Hagen von Tronje versieht Simon Jaritz mit einem Hauch Sachlichkeit. Als tollpatschiger Königsbruder Giselher sorgt Wenzel Brücher für Lacher. Matthias Hack gibt gekonnt und mit stark russischem Akzent den Etzel als virilen Mann der Tat, sein weibliches Pendant ist Lisa Fuchs als Brunhild. Topfit an den Geräten und an der Gitarre: Theo Helm als Spielmann Volker. Manolo Palma gestaltet den Dietrich von Bern ein bisschen zu lieblich zum Schweizer Söldner und kalt-lächelnden Auftragskiller aus, mit seinem Schwyzerdütsch hätte Linz09-In-tendant Martin Heller (ihn vertrat im Publikum Uli Fuchs) seine Freude gehabt. Von Dietrichs Hand kam auch lakonisch karg und rasch der Schluss. Kein Schlachtengemälde, sondern sachlich knappes, schnelles Morden: Kurzes Ende eines langen Schreckens.