„Die Orestie“ des griechischen Tragikers Aischylos gilt als einer der Höhepunkte der abendländischen Dramatik. Basierend auf dem griechischen Mythos kreist die Trilogie um das durch Verblendung und Schuld gezeichnete Geschlecht der Atriden.
Der griechische Fürst Agamemnon kehrt siegreich aus dem Trojanischen Krieg nach Argos zurück, mit der trojanischen Seherin Kassandra als Kriegsbeute. Doch vieles hat sich während seiner langjährigen Abwesenheit vom Hof verändert: seine Gattin Klytaimestra betrügt ihn mit seinem Vetter Aigisth, sein Sohn Orest lebt in der Verbannung, und seine Tochter Elektra führt das unglückselige Leben einer Sklavin. Als Klytaimestra und Aigisth Agamemnon heimtückisch ermorden, schwören die Geschwister am Grab des Vaters Rache und beschließen, den Tod Agamemnons zu sühnen. Die blutigste Familiengeschichte der Weltliteratur nimmt ihren Lauf.
Johannes Maile hat den Stoff um Rache und Unvermeidlichkeit der menschlichen Schuld für das Theater Phönix bearbeitet und in Szene gesetzt.
Näher als mit „Orestie“ von Aischylos, der um 500 v. Chr. in Athen lebte, kommt man an die Geburtsstunde des Theaters nicht heran. Das Linzer Theater Phönix eröffnete am Donnerstag seine Spielzeit mit der Mutter aller Tragödien und bewies ihre immerwährende Bedeutung.
Es geht um nichts Geringeres als um die Entwicklungsgeschichte der modernen Gesellschaft, um den Wandel von der Blutrache zur Gerichtsbarkeit und zur Verantwortung für das eigene Tun. Aber hat der Mensch tatsächlich gelernt, selbst verursachte Gemetzel nicht mehr mit dem Willen der Götter zu argumentieren, oder tragen die fragwürdigen Impulsgeber heute bloß andere Namen?
Bis Regisseur Johannes Maile im Linzer Theater Phönix eine Antwort auf diese Frage anbietet, wird - wie es sich für „Orestie“ gehört - geblutet und gemordet: Seit Jahrzehnten rackert sich das Atriden-Geschlecht mit einem Fluch ab. Als der mykenische Feldherr Agamemnon aus dem Trojanischen Krieg heimkehrt, wird ihm klar, dass der Krieg nicht nur in der Gesellschaft eine Fortsetzung findet, sondern auch innerhalb der eigenen Familie. Seine Tochter Iphigenie hatte er einst für günstigen Fahrtwind den Göttern geopfert, seine Frau Klytaimnestra rächt sich dafür. Agamemnons Sohn Orest sühnt wiederum dessen Tod und bringt Klytaimnestra samt deren Geliebten Aigisth um.
Aischylos\' dritten Teil, der den Übergang zur demokratischen Rechtsprechung verhandelt, hat Maile gestrichen und nach Armin Lehners glänzend vertonter Sollbruchstelle der Dramatik durch ein beklemmendes Ende ersetzt, das die gegenwärtige Gesellschaft als von Geld und Einfluss verführte Zombies abbildet.
Die Bühne ist karg, aber genial. Raffiniert gestellte und beleuchtete Spind-Schränke vermitteln eine Fluchtpunkt-Perspektive, die Koje einer Bushaltestelle ermöglicht den Raum im Raum. Maile verknappte die versfreie Übersetzung von Peter Stein auf zweieinviertel Stunden. Er gestaltete die Vorlage zu einer Art Drehbuch und Sprungbrett in die Gegenwart um, in dem Ähnlichkeiten zu Figuren aus Hollywood-Serien beabsichtigt sind.
Ingrid Höller ist in ihrem beherzten Intrigeneifer der Klytaimnestra eine Doppelgängerin von „Denver Clan“-Hexe Alexis Carrington (eine Bravo den Kostümen: Ilona Glöckel).
Der Chor im Publikum
Der Chor spricht mit nur einer Stimme, mit jener von Matthias Hack. Er sitzt und bewegt sich im Publikum. Eine gute Technik, die Figuren mit den Zuschauern kommunizieren zu lassen.
Ferdinand Kopeinig plagt sich als Herold, der mit dem Tode ringt, glänzt aber in seiner Orest-Zerrissenheit, bis er sich von der blendenden Verführungskunst der Lisa Fuchs und ihrer Elektra für Mord begeistern lässt. Judith Richter lebt Kassandras Wahn beachtlich, Walter Ludwig ist ein solider Agamemnon und eine kuriose Amme. Der einzige Kritikpunkt am körperlich sehr präsenten Aigisth ist Theo Helms Aussprache.
Johannes Maile hat Mut bewiesen. Der Lohn dafür ist ihm gewiss.
Johannes Maile hat „Die Orestie des Aischylos" am Theater Phönix in Linz inszeniert mit dem Zusatz eines Satyrspiels.
Linz - Auf dem Haus des Atreus lastet ein Fluch, seit Agamemnons Vater seinem Bruder Thyest dessen eigene Kinder zum Mahl vorgesetzt hat. Auch Agamemnon selbst lädt Schuld auf sich, als er die Tochter Iphigenie für guten Fahrtwind nach Troja opfert. Als der Held siegreich aus der Schlacht heimkehrt, folgt die Vergeltung. In der Bühnenmitte steht ein leeres Wartehäuschen, hier ist Endstation für Agamemnon (kriegsmüde: Walter Ludwig).
Regisseur Johannes Maile zeigt den Mord an ihm als Akt der Lust. Klytaimnestra (Ingrid Höller) ersticht ihren Gatten beim Blowjob. Ihr Liebhaber Aigisth (Theo Helm), der für seinen Vater Thyest Vergeltung übt, hilft ihr dabei. Es ist aber zuvorderst Klytaimnestras Auftritt. Mit reichlich Messerstichen rächt sie den Tod Iphigenies.
Archaisch das Geschehen, düster die in Schwarz gehaltene Bühne (Nico de Rooij): Streng gezirkelt verlaufen zunächst auch die Mono- und Dialoge. Für sprachliche Farbe dürfen nur Helms beizeiten witzelnder Aigisth und Lisa Fuchs als sarkastische Elektra sorgen. Aufgebrochen wird das Statische aber vor allem durch den Chor, der als Ein-Mann-Unternehmen (Matthias Hack) im Zuschauerraum sitzt und von dort aus interagiert und kommentiert.
Als Agamemnons Sohn Orest (Ferdinand Kopeinig) und Elektra den Mord am Vater erfolgreich rächen, hat man den Höhepunkt des Abends erst vor sich. Am besten gelingt, was Maile am freiesten behandelt: den dritten Teil, der bei Aischylos das Ende der Theokratie verhandelt. Über Orests Muttermord wird ein Urteil gefällt, die Gerichtsbarkeit löst die Vergeltung ab. Maile lässt „Frieden für immer" aus den Boxen proklamieren und fügt ein eigenes Satyrspiel hinzu, das so gar nichts Befreiendes an sich hat. Das Ensemble streift als Touristengruppe durch die antiken Schauplätze des Dramas, befördert schnöden Mammon und Wohlstandschrott aus den Kulissen, bleibt jedoch an der Wiege der Demokratie blind für das Eigentliche.
Erfolg für„Orestie des Aischylos“ im Linzer Theater Phönix:
Reduziert wie die Aufmachung des Programmheftes kommt sie daher, „Die Orestie des Aischylos“ im Linzer Theater Phönix. Regisseur Johannes Maile hat Peter Steins Übersetzung des antiken Dramas auf gut zwei Stunden komprimiert und mit dem Phönix-Ensemble am Donnerstag zu einer gelungenen Premiere geführt.
Aischylos\' Trilogie ist 2500 Jahre alt, die Übersetzung von Peter Stein bringt es in ihrer Gänze auf neun bis zehn Stunden - von beidem ist in dieser Inszenierung nichts zu spüren. Maile legt eine sehr persönliche Sicht auf den Stoff vor, im Mittelpunkt das Familiendrama um das Geschlecht der Tantaliden. Klytaimestra, die aus Rache, weil er ihre Tochter geopfert hat, zusammen mit ihrem Liebhaber Aigisth ihren Gatten Agamemnon und die Seherin Kassandra ermordet.
Orest, der daraufhin unterstützt von seiner Schwester zum Muttermörder wird.
Es fließt viel Blut in dieser Familie und auf der Bühne von Nico de Rooij, (Kostüme Ilona Glöckel), die von Metallspinden begrenzt wird. Ingrid Höller ist eine Klytaimestra, die sich nicht bemüht, ihren selbstgerechten Hass auf Agamemnon (Walter Ludwig) zu verbergen, die Einwände und aufkeimende Gefühle ins Lächerliche zieht. Sie löst zwiespältige Gefühle aus. Matthias Hack fungiert aus dem Publikum als mahnender Chor. Eindrucksvoll Judith Richters Kassandra ebenso wie Ferdinand Kopeinig und Lisa Fuchs als Orest und Elektra.
Den dritten Teil von Aischylos\' Trilogie, den gesellschaftlichen Wandel vom Blutrecht zur Demokratie, ersetzt die Inszenierung mit Stimmen aus dem Dunkel, um mit Zivilisationskritik zu enden: Für Touristen mit leeren Blicken bleibt von der antiken Tragödie nur „Geschichtsmüll“ übrig.
Das Theater Phönix lieferte damit zum Einstand in die neue Saison einmal mehr den Beweis ab, dass es im Stande ist, Klassiker in einem zeitgemäßen Kleid zu spielen.
„Orestie"-Kurzversion am Theater Phönix: ein ziemlich hilfloser Versuch, die antike Tragödie ins Heute zu holen
„Fest klebt das Unheil an diesem Geschlecht" befand Dichter Aischylos, als er vor 2500 Jahren den Mythos des fluchbeladenen Atriden-Geschlechts zu seiner „Orestie"-Trilogie verarbeitete. An der Kurzfassung für das Theater Phönix, die am Donnerstag Premiere hatte, klebt vor allem das reichlich verspritzte Theaterblut, Johannes Mailes Inszenierung blieb trotzdem erstaunlich blutleer. Das Schicksal von König Agamemnon (Walter Ludwig), der mit seiner Kriegsbeute Kassandra (Judith Richter) siegreich aus Troja nach Argos zurückkehrt, lässt das Publikum kalt. Auch dass seine Gattin Klyteimestra (Ingrid Höller) nur auf Rache für ihre Tochter Iphigenie sinnt, die Agamemnon vor der Fahrt in den Trojanischen Krieg den Göttern geopfert hat. Sie hat sich mit Aigisth (Theo Helm) einen neuen Lover ins Bett geholt, der mit dem Gehörnten ebenfalls eine alte Rechnung offen hat. Und so ist Agamemnons Tod nur eine Frage des „Wie" und „Wann", wie auch die Sühnung des Mords durch Sohn Orest (Ferdinand Kopeinig), der vom Hass seiner Schwester Iphigenie (Lisa Fuchs) noch angestachelt wird.
Die Tragik verkommt zur unfreiwilligen Satire
Was bei Aischylos noch die Wucht der unausweichlichen Tragödie hat, kann sich hier nicht zwischen Tragik und Satire entscheiden. Aus Angst vor Pathos kippt die Kette des unaufhörlichen Mordens ins unbeholfen Lächerliche, wenn mit dem Dolch herumgefuhrwerkt wird, bis sich die Opfer im Blute wälzen - Gewalt lässt sich wesentlich subtiler und dafür eindringlicher auf die Bühne und in die Köpfe der Zuschauer bringen. Und wenn statt des verloren gegangenen Satyrspiels, mit dem Aischylos die Tragödie in Gelächter münden ließ, Maile seine Protagonisten als japanische Touristen ins antike Griechenland schickt, ist das auch nur mehr ein Gag, der den Abend nicht retten kann. Das Bühnenbild (Nico de Rooij) ist ebenso wenig zwingend: eine gläserne Trennwand, die wie ein Straßen-Wartehäuschen anmutet, teilt zunächst den Raum, links und rechts staffeln ihn Tresorwände, aus denen zum Schluss Schrott herauspurzelt.
Das Beste an dieser Produktion ist Peter Steins zeitlose Gültigkeit anstrebende Übersetzung, an der die Darsteller aber großteils sprachlich scheitern. So ist Ingrid Höller (Klyteimestra) hinter der gläsernen Trennwand fast unverständlich und wenn die Emotionen hochgehen sollten, wird mehr gebrüllt als die Dramatik verdeutlicht. Maile, der am Phönix seine Kompetenz für zeitgenössische Autoren bei Ewald Palmetshofers „wohnen, unter glas" bewiesen hat, konnte hier auch seine Schauspieler nicht wirklich fordern. Sie alle blieben unter ihren Möglichkeiten - bis auf Matthias Hack als Ein-Mann-Chor, der aus dem Publikum spricht. Er trifft als Einziger den richtigen Ton einer zeitlos-aktuellen Deutung des Stoffs. Auch Ferdinand Kopeinig in der Rolle des zu Tode erschöpften Herolds lässt aufblitzen, was man aus dieser „Orestie" hätte machen können.
So aber zwang sich nach zweieinhalb Stunden das sonst so begeisterungswillige Phönix-Premierenpublikum nur sehr müden Beifall ab.