Der geniale Physiker Möbius hat die Weltformel entdeckt: ein sicheres Mittel zur Vernichtung der Erde in den Händen einer moralisch degenerierten Menschheit. Um seine gefährliche Entdeckung zu verheimlichen und aus Angst vor den Folgen seiner Forschungen flüchtet sich Möbius in die geschlossene Anstalt von Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd und spielt den Verrückten. Aber zwei politische Geheimdienste sind ihm bereits auf der Spur, seltsame Krankenschwestermorde häufen sich, und auch die anderen beiden Patienten scheinen etwas zu verheimlichen. Die Erkenntnis, „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“, kommt – nicht nur für Möbius – zu spät.
Medienberichte über atomare Bedrohungen aus dem Nahen Osten oder die Entwicklung der Gentechnologie lassen Friedrich Dürrenmatts Welterfolg aus dem Jahre 1962 in einem neuen Licht erscheinen und werfen erneut die Frage nach der Verantwortung von Wissenschaft auf. Eine bitterböse Komödie, ein grotesker Polit-Krimi aus der Feder des Schweizer Erfolgsautors.
„Die Physiker“ am Phönix-Theater Linz
Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ im Linzer Phönix-Theater: ein Stück über die Unmöglichkeit, Gedachtes umgedacht zu machen. Die zeitlos präsente Inszenierung von Eva Hosemann brachte das 46 Jahre junge Stück mit großer Frische auf die Bühne.
Stephan Bruckmeiers Ausstattung ist großflächig und schlicht. Fünf orange Türen und die Markierung der erdrosselten Krankenschwester fallen als erstes ins Blickfeld. Ansonsten suggeriert das Bühnenbild die Sterilität von Sanatorien. Nichts lenkt ab, im Zentrum der Geschichte steht das Tun der Akteure: der leicht neurotische Inspektor Voß und die herrlich beängstigende Oberschwester, toll gespielt von Christoph Kail und Judith Richter. Begeisternd Ferdinand Kopeinig, der mit chaplinesken Zügen den vermeintlich Irren brillant belebt.
Die Geschichte lebt von den kleinen, gut platzierten Pointen, wie dem Zunge zeigenden Einstein (Theo Helm) oder dem schizophren-autoritären Newton (Matthias Hack). Einzig Eva Linder als über alles erhabene Oberärztin lässt in ihrer Darstellung etwas an Spektrum vermissen.
Dennoch: Das Stück verliert durch die dynamische Inszenierung Hosemanns nie an Reiz. Es gelingt ihr, den ironischen Zynismus des Schweizer Schriftstellers mit einer großartigen Frische zu beleben. Ein Pflichttermin!
Friedrich Dürrenmatt fasste 1962 mit „Die Physiker“ seine Befürchtung zusammen, die fortschreitende wissenschaftliche Aufklärung könnte in der Vernichtung der Welt münden. 46 Jahre später bemüht sich das Linzer Theater Phönix, die Wissenschaft als Dämon zu entlarven. Am Mittwoch war Premiere dieses Versuchs.
Hier hausen Wahnsinnige, die im Stande sind, der Erde das Lebenslicht auszublasen. Ein kahler Raum, vier Sessel stehen um einen Tisch. Ein Schachbrett wartet darauf, dass seine Figuren geführt werden. Fünf orange Türen deuten einen Gang an, auf dem Boden ist die Silhouette einer Leiche abgeklebt.
Der Wissenschaftler Johann Wilhelm Möbius ist in dieses Irrenhaus geflüchtet, um seinen Erkenntnissen zu entkommen. Neben ihm haben sich zwei einquartiert, die auch nicht plemplem sind, aber als Einstein und Newton so tun. Sie wollen Möbius die Weltformel entreißen.
Drei Krankenschwestern müssen sterben, bis sie zu dritt beschließen, in der Anstalt zu bleiben. Der Weltfriede scheint gerettet zu sein, aber Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd ist dem Wahnsinn am nächsten.
Christoph Kail Ist für „Die Physiker“ als Gast geholt worden. Er glänzt als Kriminalinspektor Richard Voß. - in dem Wissen, dass auch etwas flachere Rollen sauber durchgespielt werden wollen. Er kommt vorbei, um die drei Irren als Mörder festzustellen. Es gelingt ihm mit einer hervorragenden Mischung- aus glattgebügeltem Columbo und neurotischem Jacques Tati. Ferdinand Kopeinig gibt dem Wahnsinn des „Möbius“ nur bedingt Körper, wenn er kindlich an seinem Morgenmantel zerrt, aber gleich darauf in die brachiale Verzweiflung über die Realität kippt. Theo Helm verkleinert „Einstein“ zur Comic-Figur. Er bewältigt ihn dennoch sprachlich, was ihm als geouteter und mimisch respektabler Geheimdienst-Wissenschaftler nicht mehr gelingt. Matthias Hack sitzt der „Newton besser. Er nutzt Getue als Stilmittel, verliert aber während der Verhandlungen über die Weltformel an Präsenz. Lisa Fuchs ist die glaubhaft leidenschaftliche „Krankenschwester Monika“. Judith Richter fühlt sich mit der subtil herrischen „Oberschwester Marta Boll“ scheinbar wohler als in der Rolle der Möbius-Gattin. Eva Linder scheitert daran, dem Abend als „Mathilde von Zahnd“ eine Wendung zu verpassen. Ihr Lachen verrät in Spiel, nicht den Ernst der Lage. Anständiger Premieren-Applaus, leidenschaftliches Klatschen für Christoph Kail.
Kritik: Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ im Theater Phönix
Eine der größten Kömödien der Nachkriegszeit läuft gerade im Phönix. Warmer Applaus für Eva Hosemanns Inszenierung.
Linz. Der Physiker Möbius hat den Geist eines Genies und das Herz eines Philanthropen. Wenn gerade zwei Weltmächte um die Wette rüsten, ist das ein Kreuz. Denn Möbius weiß: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ Anstatt seine „Weltformel“ zur Auslöschung der Menschheit zu verhökern, flieht er ins Irrenhaus. Wo er sich in Sicherheit wähnt. Nicht aber, wenn es nach Friedrich Dürrenmatt geht. Die schlimmstmögliche Wendung und der Zufall sind schließlich die Werkzeuge des Schweizer Dramatikers. So auch bei seiner Komödie “Die Physiker“ (1962). Am Mittwoch war Premiere im Linzer Phönix.
Sanft. Eva Hosemann geht behutsam mit dem Stoff um, der im Lichte von Gentechnik nach wie vor brisant ist. An manchen Stellen gerät die Regie aber zu passiv. Die furchtbare Erkenntnis, dass die verrückte Anstaltsleiterin Fräulein Doktor Zahnd (Eva Linder) die „Weltformel“ besitzt, führt nicht zum gewollten Schockmoment. Dafür ist der ganz normale Wahnsinn im Irrenhaus purer Slapstick. Theo Helm und Matthias Hack bekommen für die krankenschwesternmordenden Physiker, die sich für Einstein und Newton halten, Szenenapplaus. Ferdinand Kopeinig gibt Möbius viel Herz. In seinem Element: Christoph Kail als hilfloser Kriminalist. Lisa Fuchs und Judith Richter mimen die resoluten Schwestern. Empfehlenswert!
Friedrich Dürrenmatts Tragikomödie „Die Physiker" hatte Mittwochabend am Linzer Theater Phönix Premiere
Dürrenmatts groteske Tragikomödie um den genialen Physiker Möbius, der ins Irrenhaus geht, um die Welt vor der zerstörerischen Macht seiner Erfindung zu schützen, ist in die Jahre gekommen: Uraufführung 1961. Wer soll sich in Zeiten des World Wide Web noch vorstellen, dass Wissen zurückgenommen werden kann? Wen kratzt die Aussage, dass ein atomarer Overkill möglich ist? Auch der Kalte Krieg ist längst Geschichte.
Die Physiker Einstein, Newton und Möbius machen sich im Irrenhaus des Linzer Phönix einen Jux aus ihren vorgetäuschten Schizophrenien. Einstein ist mit typisch zerrauftem Haar sofort erkennbar - und als Zugeständnis an das berühmte Bild zeigt er bei jedem Abgang die Zunge. Der junge Theo Helm entspricht genau dem 68er-Klischeebild Einsteins. Sir lsaac Newtons Anliegen (Matthias Hack mit barocker Perücke) ist weniger die Ordnung der Natur, als heimliches Rauchen und Saufen. Auch Ferdinand als Johann Wilhelm Möbius, wirkt eher komisch denn tragisch. Er hat als Dritter im Bunde die revolutionäre Weltformel entdeckt, die in den falschen Händen zur Vernichtung der gesamten Welt führen könnte. Newton und Einstein sind Spione, die an Möbius' Erkenntnisse herankommen wollen, um sein .Genie für ihre Geheimdienste zu nutzen. Sie haben ihre Krankenschwestern ermordet, die ihr Geheimnis entdeckt hatten. Die dritte Krankenschwester (Lisa ' Fuchs) gesteht in einer ebenfalls eher komischen Szene Möbius ihre Liebe. Möbius erdrosselt sie, um sein Geheimnis zu wahren. Er will seine Formeln vernichten, aber Mathilde von Zahnd, Besitzerin und Chefärztin der Anstalt, hat schon sämtliche Aufzeichnungen kopiert. Die Welt befindet sich somit in den Händen einer wirklich Verrückten. Eva Lindner wirkt allerdings zu nett, um die absolute Machtgeilheit der verrücken Irrenärztin glaubhaft zu machen.
Regisseurin Eva Hosemann stellt ihre Physiker korrekt ins Ambiente eines modernen Krankenhauses. Unverständlich, warum sich die Drei mach dem gegenseitigen Outing wie geistig und körperlich Behinderte verhalten. Slapstick und momentane Gags nehmen der Handlung die Ernsthaftigkeit. Das wahrhaft brisante Thema, nämlich die Frage nach der Ethik, in der Wissenschaft geht unter in Klamauk und Oberflächlichkeit.
Der kalte Krieg und die atomare Aufrüstung waren voll im Gange und die Kubakrise nicht mehr allzu fern, als Dürrenmatt mit Die Physiker 1961 die Konfliktzone zwischen Wissenschaft, Macht und Ethik zu skizzieren begann. In seiner bitteren Komödie halten sich zwei Verrückte für berühmte Physiker, und einem tatsächlichen erscheint fortwährend König Salomo. Im Privatsanatorium, unter der Obhut des Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd (beinahe tough: Eva Linder), ist jedoch alles nur Tarnung. Um diese zu schützen, schrecken die Physiker auch vor Mord nicht zurück. Möbius (Ferdinand Kopeinig) hat die Weltformel gefunden und zieht sich darauf ins innere Exil zurück. Die beiden anderen, sich als Einstein (Theo Helm) und Newton (Matthias Hack) ausgebend, sind als Kernphysiker im Geheimdienst hinter Möbius her. Was in der Regie Eva Hosemanns werktreu als Komödie beginnt, findet jedoch am Ende nicht die nötige Bitterkeit. Zuviel ist zuvor dem Klamauk geschuldet, zu abrupt enttarnt sich am Ende die Anstaltsleiterin als kühler Machtmensch. Der mögliche Spannungsbogen, der sich beim Coming-out der Physiker kurz abzeichnet, bricht leider vorschnell ab und nimmt dem Ende den nötigen Schrecken.
„Ein Drama über die Physiker muss paradox sein“, postuliert Friedrich Dürrenmatt zu seiner Komödie Die Physiker. Der Autor bindet in seinem 1962, also inmitten des Kalten Krieges, uraufgeführten Stück die Protagonisten der modernen Naturwissenschaft, die ideologisch gelenkten Erfinder des vielfachen Overkills, an den einzigen Ort, an dem die Menschheit vor ihnen sicher scheint: das Irrenhaus. Denn das hat der Physiker Möbius in der Angst, sein Wissen könne die Welt zerstören, als Zufluchtsort gewählt. Zwei weitere „Physiker“, Newton und Einstein, leisten ihm Gesellschaft und würden von der Außenwelt abgeschlossen bleiben, müssten sie nicht Krankenschwestern ermorden, um ihre Identität zu geheim zu halten.
In der klaren, schnörkellosen Regie von Eva Hosemann läuft das skurrile Identitäten-Wechselspiel im freundlich-gesichtslosen Aufenthaltsraum der Klinik ab. Eva Linder zeigt das Frl. Doktor von Zahnd als genüssliche Verwalterin des Irrsinns. Judith Richter ist die beisszangige Oberschwester Marta Boll sowie die völlig überforderte Ex-Frau von Möbius, Lisa Fuchs die bis zum Wahnsinn selbstaufopferungsbereite Schwester Monika. Matthias Hack und Theo Helm geben Newton und Einstein: mit etwas brachialem Irrsinnsgehaben der eine, mit feinerer, detailverliebter Zeichnung der Ticks und Marotten (etwa beim Schließen der Tür) der andere. Ferdinand Kopeinig als Möbius ist der Angelpunkt des Geschehens, getrieben und zerrissen von Angst, Sorge und Liebe. Christoph Kail als Inspektor Voß gibt eine Columbo-Karikatur: liebenswürdig, verwirrt, überfordert und dem Druck nicht gewachsen.
Nach einem etwas flauen Mittelteil steigert sich die Inszenierung im Finale noch gewaltig, die Selbstdemaskierung des Fräulein Doktor erreicht eine bedrückende Intensität und lange Stille vor dem Schlussapplaus.