Unteroffizier Beckmann, der eben erst aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist, hat alles verloren. Seine Frau hat einen anderen, sein Kind ist tot, seine Gesundheit ist ruiniert, er hat Hunger und friert. Die Elbe spuckt die „Rotznase von einem Selbstmörder“ aber wieder aus, zu jung ist er, zu unerfahren. Und so irrt Beckmann, getrieben von der Frage nach Moral und Verantwortung, durch Hamburg, findet aber weder Ausweg noch Antworten.
Er ist „einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist, und ihr Zuhause ist dann draußen, vor der Tür.“
Als Zustandsbeschreibung einer ganzen Generation wurde „Draußen vor der Tür“ zum Klassiker der Nachkriegszeit. Der 25-jährige Wolfgang Borchert schrieb das Stück im Spätherbst 1946 in nur wenigen Tagen. Als Hörspiel wurde es am 13. Februar 1947 zum ersten Mal vom Nordwestdeutschen Rundfunk gebracht und galt als „Protestschrei gegen die zerstörerische Macht des Krieges“. Das Bühnenstück erlebte seine Uraufführung am 21. November 1947, einen Tag nach dem Tod des Dichters.
Theater Phönix: Herausragende Premiere von Borcherts „Draußen vor der Tür“
Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ erzählt vom ehemaligen Wehrmacht-Unteroffizier Beckmann, der nach dem Zweiten Weltkrieg und drei Jahren russischer Gefangenschaft mit zerschossenem Bein und ramponierter Seele in seine Heimatstadt Hamburg zurückkehrt. In den Armen seiner Frau liegt längst ein anderer - und weil Beckmann daran verzweifelt, dass ihm die Gegenwart keine Tür mehr öffnet, will er sich in der Elbe das Leben nehmen. Doch der Fluss - hingeschrieben als grobes Weib (Anna Maria Eder) - spuckt „die Rotznase von einem Selbstmörder“ wieder aus.
Das am 21. November 1947, einen Tag nach Borcherts Tod im Alter von 26 Jahren, uraufgeführte Stück war ob seiner Kraft, allen aus der Welt Gefallenen eine Stimme zu geben, rasch Schullektüre. Es ist ein Glücksfall, dass sich das Linzer Theater Phönix dieses Klassikers angenommen und dessen immerwährende Gültigkeit bei der Premiere am Donnerstag unverkrampft zum Leuchten gebracht hat.
Regisseurin Caroline Ghanipour, der das Phönix die fantastische Inszenierung von Florian Zellers Komödie „Die Kehrseite der Medaille“ (2018) verdankt, zeichnet ihre Figuren berührend präzise. Auf einer metaphorisch aufgeladenen Straße (gerahmt von Straßenlaternen/Ausstattung: Peter Engel) hinkt und fällt der großartige Martin Brunnemann als Beckmann bei den Versuchen, sein neues Leben im alten zu finden. Zusammen mit dem kongenialen David Fuchs als Alter Ego „Der Andere“ entfacht sich für das Publikum magnetische Ambivalenz zwischen Todessehnsucht und erzwungenem Durchhalten. Ghanipour verschmilzt die Figur des „Anderen“ mit jener Gottes und hebt die Beziehung zu Beckmann mit diesem Kniff sinnvoll auf eine neue Ebene. Zusammen mit Armin Lehner taucht die Regisseurin den Abend obendrein in so behutsame wie groteske Musik-Hadern von Bonnie Tylers „I Need a Hero“ bis Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“.
Statt zu sterben sucht Beckmann seinen ehemaligen Oberst (blendend widerlich: Sven Sorring) heim, um ihm die Verantwortung für elf tote Soldaten in seiner Truppe zurückzubringen. Der obszön abgebrühte Militär-Fürst kanzelt Beckmanns Vortrag als lustig ab. Der Geschundene bietet sich deshalb einem Zirkusdirektor an - hier ist es Nadine Breitfuß als schnoddrige Direktorin. Selbstredend wird er abgewiesen. „Weil ich ein Anfänger bin, kann ich nirgends anfangen“, sagt Beckmann.
Das sind die Momente, in denen sich der Brustkorb des Zuschauers verengt, dem der Abend ins Unterfutter kriecht. Erst recht, als Breitfuß als junges Mädchen den am Ufer der Elbe Aufgelesenen Sinn und Sinnlichkeit des Lebens impfen möchte. Es ist ein Ringen mit sich und der Welt, ein Schreien, ein dramaturgisch einfühlsam balancierter Tanz am Abgrund der menschlichen Verwüstung. 100 Minuten, die lange nachwirken.
Fazit: Ein schmerzhaft schöner Theaterabend, der sein Publikum wie ein Freund an der Hand nimmt, um ihm die dunkle Seite seelischer Verwundungen zu offenbaren.
„Draußen vor der Tür“ im Linzer Theater Phönix
Es gibt Theaterstücke, die auch nach Jahrzehnten nichts von ihrer Gültigkeit und Aussagekraft verloren haben. Dazu zählt „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert. Und das gilt vor allem dann, wenn die Realisierung mit Respekt vor dem Text erfolgt. Wie jetzt am Theater Phönix in Linz. Premiere war am Donnerstag.
Autor starb mit 26
Das Stück um einen Kriegsheimkehrer entstand 1947 unter auch in der Realität dramatischen Umständen. Der 26-jährige Hamburger Schriftsteller Wolfgang Borchert war schwer krank und traumatisiert im Jahr 1945 aus dem Krieg zurückgekehrt. In nur wenigen Tagen schrieb er die fürchterlichen Erfahrungen seines Kriegsdienstes an der Front in „Draußen vor der Tür“ nieder. Einen Tag vor der Uraufführung starb Wolfgang Borchert.
Es geht um den verkrüppelten und schwer traumatisierten Unteroffizier Beckmann, der — auch äußerlich heruntergekommen — aus der Gefangenschaft in Sibirien in seine Heimat Hamburg zurückkehrt. Doch diese „Heimat“ gibt es nicht mehr, sowohl im wörtlichen Sinn — alles liegt in Schutt und Asche — als auch auf menschlicher Ebene. Sein Kind starb unter den Trümmern, seine Frau hat einen Neuen, seine Eltern haben Selbstmord begangen und sein ehemaliger Oberst verbringt seine Tage Spaghetti fressend und die Augen vor der Kriegskatastrophe verschließend. Selbst die Elbe, in die sich Beckmann verzweifelt stürzt, „spuckt“ ihn wieder aus. Und sein „zweites Ich“ in der Gestalt des „Anderen“ nervt ihn mit seinem Optimismus. Kein Wunder, dass „Gott“ aus der Mode gekommen ist und der „Tod“ alle Hände voll zu tun hat.
Nahe am Text
Am Theater Phönix hat Regisseurin Caroline Ghanipour die Inszenierung nahe an Borcherts Text angelegt und nur behutsame Veränderungen vorgenommen. Die Ausstattung von Peter Engel ist karg, aber passt genau in die Tristesse rund um Beckmann. Ghanipour und Armin Lehner sorgten für Musik, die sich nie in den Vordergrund drängt, sondern die tragischen Geschehnisse kongenial ergänzt. Vor allem aber ist man nicht der Versuchung erlegen, Borcherts Stück mit heutigen Anspielungen zu „aktualisieren“. Der Text ist auch so stark genug. Obwohl Regisseurin Ghanipour im Programmheft keinen Zweifel lässt, dass es auch heute „Beckmanns“ gibt, Kriegsveteranen, Flüchtlinge oder Menschen, die auf die „schiefe“ Bahn gekommen sind und als Ausgestoßene keine Heimat mehr finden.
Bravouröse Leistung
Das Phönix-Ensemble liefert eine bravouröse Leistung ab. Allen voran Martin Brunnemann als Beckmann, verzweifelt, dann wieder aufbegehrend und traumatisiert durch eigene Taten im Krieg. David Fuchs als „der Andere“ versucht ebenso verzweifelt, Beckmann Hoffnung und neues Leben zu vermitteln, selbst im Ringkampf mit diesem. Ein Highlight ist Sven Sorring als „Oberst“. Allein so viele Spaghetti in sich hineinzustopfen, ist eine Leistung. Vor allem aber die Darstellung seines Selbstbetrugs und seiner Uneinsichtigkeit, was die Folgen des Krieges anlangt, ist erschütternd. Anna Maria Eder als ignorante neue Bewohnerin von Beckmanns Elternhaus und Nadine Breitfuß als „Kabarettdirektorin“ runden den vom Publikum begeistert aufgenommenen Abend ab.
Premiere von „Draußen vor der Tür“ im Theater Phönix / Tolle Inszenierung:
Mit beklemmender Unmittelbarkeit bringt Regisseurin Caroline Ghanipour den Klassiker der Trümmerliteratur „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert auf die düstere Bühne des Linzer Theater Phönix. Eine Inszenierung, die auch Dank des Hauptdarstellers Martin Brunnemann unter die Haut geht.
Kriegsrückkehrer Beckmann steht vor den Scherben seines Lebens und will sich umbringen. Doch die Elbe spuckt ihn wieder aus, und so irrt er von Tür zu Tür auf der Suche nach einem Platz in der Gesellschaft. Und wird doch von Jedem abgewiesen - an den Krieg will keiner mehr erinnert werden. „Draußen vor der Tür“ schrieb Wolfgang Borchert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs binnen acht Tagen nieder; er selbst war ebenfalls Kriegsversehrter und starb schon mit 26 Jahren an den Folgen.
Im Theater Phönix schafft es Martin Brunnemann mit seiner bedrückenden Darstellung des Beckmann, dass einem dieser Stoff ganz nahe geht. Er leidet nicht theatralisch, sondern ehrlich, seine Verzweiflung geht unter die Haut. Caroline Ghanipour reduziert die Geschichte in ihrer Inszenierung auf das Wesentliche, die karge Bühne (Ausstattung: Peter Engel) beschwört eine dunkle Hamburger Seitengasse mühelos herauf, einen gelungenen Kontrapunkt liefern die Musikeinspielungen. Stark auch das restliche Ensemble: Sven Sorring als Tod und Oberst, Anna Maria Eder als Elbe und Frau Kramer, David Fuchs als Gott und Der Andere und Nadine Breitfuß als feinfühliges Mädchen und vor allem sensationell als goscherte Kabarettdirek-torin. Ein intensives Theatererlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.