Das revolutionäre Schauspiel des blutjungen Goethe markiert den Beginn der neuen Stilepoche „Sturm und Drang“. Nationaler Stoff, freie Form und geschichtsbewusst-lebensvolles Ethos ließen es zum Vorbild einer ganzen Generation werden. Im Mittelpunkt steht der kaisertreue Reichsritter Götz von Berlichingen, der sich gegen Verrat, Lüge, Knechtssinn und höfische Unterdrückung auflehnt: ein selbsternannter „Robin Hood“ im Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit. Zum ersten Mal in der deutschen Theatergeschichte schildert Goethe nach Shakespeareschem Vorbild den Untergang eines großen Individuums und zeigt zugleich auch die Zeit des Umbruchs - von einem liberalen Kaiserreich zur Willkürherrschaft der Landesfürsten und der Kirche. Die Welt verändert sich. Götz, der nicht bereit ist, diese Veränderung zu akzeptieren, geht schlussendlich an ihr zugrunde.
Ein monumentaler Klassiker in einer Bearbeitung von Ioan C. Toma, der zuletzt Goethes Faust 1 und 2 in einer packenden Neuversion auf die Bühne brachte.
Ein Stück, das die kurze literarische Rebellion des "Sturm und Drang" ab zirka 1770 mitbegründet hat, fegt ebenso stürmisch über die Bühne im Theater Phönix: "Götz von Berlichingen" von Johann Wolfgang von Goethe in einer genialen Bearbeitung und grandiosen Umsetzung.
Regisseur Ioan C. Toma hat bei diesem verwirrend ausufernden Stück von Goethe (1749-1832), das bei der Uraufführung 1774 für Skandalgetöse sorgte, beherzt gestrichen, auf dass dieses Textungetüm, das locker auf sechs Stunden pathosbeladene Spieldauer kommen könnte, in kurzweiligen 105 Minuten aufgeführt werde. Übrig bleibt das Stückkonzentrat - verständlicher und um Vieles vergnüglicher als das Original.
Ein Beispiel: Die seitenlang beschriebene Szene am bischöflichen Hof ist nur ein Satz - samt suggestivem Bild: Sebastian Pass im Bischofsornat taucht wie ein diabolisches Wesen auf, zischt "Hiobspost!" - großartig - und alles ist gesagt. Toma, bekannt für seine fantasiestrotzenden und humorvollen Regieeinfälle, hat hier wiederum seiner Lust am pointierten und präzisen Spiel mit Sprache, Schauspiel, Bühnenbild, Licht und Musik - kongenial umgesetzt mit einem perfekt eingespielten Team -freien Lauf gelassen. Zu Beginn rollt Götz auf einer Kabeltrommel herein, was einerseits Assoziationen mit römischen Kampfwagen zulässt, andererseits ihm etwas lächerlich Schwerfälliges gibt. Und dieses Regiekonzept des "einerseits/andererseits" zieht sich durch die Inszenierung.
Das in erfreulich hoch stehender Qualität agierende Phönix-Schauspielensemble schlüpft - außer Götz und seine Ehefrau - in zwei Rollen. Einerseits und andererseits: Die keusche Heilige Maria und die intrigante Hure Adelheid, die Judith Richter in höchster Schauspielgüte mimt. Der Verräter Weislingen und der Kämpfertyp Sickingen - von Reinhard Kopeinig einerseits mit Melancholie und andererseits als ständig kampfbereiter US-Marine gespielt. Karl, der Sohn von Götz und der sterbende Kaiser: Christian Scharrer als Weichei und als seniler Depp. Der in Adelheid verliebte Franz und der kriegerische Georg: Theo Helm sanftmütig und dann wieder wilder Hund. Und Phönix-Gast Simon Jaritz als Götz: ein kraftvoller Sturm-und-Drang-Typ, ein Held, der sich selbst das Haxl stellt, weil er sturschädelig an seinen Idealen - Treue zu Gott und Kaiser - festhält, obwohl die politischen Zeichen auf Umschwung stehen. Lisa Fuchs gibt der liebsorgenden Ehefrau auch emanzipatorische Züge.
Hauptdarsteller sind auch Bühne und Musik. Kurt Pint hat einen spiegelnden Glaskasten gebaut, der dem Geschehen einem Gemälde gleich einen Rahmen gibt, in dem die zwei gegensätzlichen Welten - die auch in den Kostümen erkennbare raue des Götz und die samtene des Bischofs - einander abwechseln oder auch ineinander übergehen. Die Musik von Wolfgang Fadi Dorninger mit Zitaten aus Highlander-Filmen und Liebesschwänken zeichnet Bilder im Kopf und im Gemüt.
Erich Uiberlacker rückt alles mit beeindruckender Präzision ins rechte Licht.
Götz von Berlichingen:
von J. W. v. Goethe, Theater Phönix (Premiere 11. 9.)
Inhalt
Heldenhafter Götz
Ritter Götz von Berlichingen liegt in Fehde mit dem Bischof von Bamberg. Er nimmt seinen Jugendfreund Weislingen, nun Berater des Bischofs, gefangen. Der aber kehrt zum Bischof zurück, heiratet die intrigante Adelheid. Über Götz wird die Reichsacht verhängt, Weislingen wird von seiner Frau vergiftet, Götz stirbt.
Premiere: Johann Wolfgang von Goethes „Götz von Berlichingen“ in einer überzeugenden Inszenierung am Linzer Theater Phönix
Populär ist es nur mehr durch den täglich tausendfach gebrauchten Fluch, das „Götz-Zitat“ — „Er kann mich im Arsche lecken“, das übrigens nicht dem Kaiser, sondern einem Hauptmann gilt. Auf einer größeren Bühne wurde das erste Sturm-und-Drang-Werk der Literaturgeschichte, 1773 vom 23-jährigen Goethe verfasst, hierzulande in den letzten 30 Jahren aber kaum mehr aufgeführt.
Donnerstagabend nun ist der Ritter mit der eisernen Hand und dem bewussten Zitat im Linzer Phönix eingeritten. Es gehört viel Mut dazu, das „schaurige Monstrum“ von einem Klassiker (Lessing) ausgerechnet auf einer Alternativ-Bühne zu revitalisieren. Der rumänische, in Linz seit langem geschätzte Regisseur Ioan C. Toma hat es gewagt — und gewonnen.
Toma straffte das fünfstündigen Schauspiel um den 1480 geborenen Ritter, der sich in den Bauernkriegen als Robin Hood für die Unterdrückten einsetzt, auf wohltuende 110 Minuten. Das Kräftemessen zwischen Kirche, Macht und Freiheit besticht in Tomas Regie durch Vielgestaltigkeit, Zeitlosigkeit und eine gehörige Portion Spektakel. Gespielt wird auf, unter und über der von Kurt Pint geschaffenen originellen Bühne mit mannigfach nutzbarem Spiegelkabinett, und in stimmigen Kostümen im Military-Look (Bonnie Tillemann).
Simon Jaritz ist ein viriler Götz, der vielleicht dessen psychologische Konflikte (er ist dem Kaiser treu) nicht ganz so nachvollziehbar machen kann wie Ferdinand Kopeinig seine als Götz\' Jugendfreund und Gegenspieler Weislingen. Als martialischer Haudrauf und Götz-Verbündeter beweist Kopeinig zusätzliche Wandlungsfähigkeit — ebenso wie die doppelt besetzte Judith Richter, die problemlos zwischen verführerisch-berechnender Adelheid und liebreizender Schwester Maria changiert. Der aus Wien zurückgekehrte Sebastian Pass gestaltet den Bisch von Bamberg, der mit Götz im Clinch liegt, zu einer geifernden Figur, die Bram Stokers „Dracula“ entstiegen scheint. — Ein perfektes Spiel mit Licht, Schatten und Spiegeln und unzähligen originellen Regieeinfällen, das Goethes theatralisches Ringen um Ethos und Freiheit überzeugend fürs Heute aufbereitet.
Kritik: „Götz von Berlichingen“ im Linzer Theater Phönix
Ioan C. Toma inszeniert einen sehenswerten „Götz“ im Linzer Theater Phönix.
Linz. „Freiheit! Freiheit!“, ruft Götz inbrünstig, ehe er sich am Ende mit eigener Hand ins Jenseits befördert. Weislingen, seinem Freund aus Kindertagen, sind solch hehren Ideale eher Powidl. Er hat sich mit den Mächtigen arrangiert, schließlich ist jeder sich selbst der Nächste. Beide Figuren enden tatsächlich tragisch. Götz, weil er an alten ritterlichen Idealen festhält. Weislingen, weil es ihn zwischen alten und neuen Idealen (immer schön diplomatisch sein!) zerreißt.
Rasant. Wohltuend, wie Regisseur Ioan C. Toma gar nicht erst krampfhaft versucht, Goethes Götz von Berlichingen in die Gegenwart zu übersetzen. Wozu auch, wer sich gestern noch beim Fürsten anbiederte, tut das heute bei gegenwärtigen Obrigkeiten (damit ist definitiv nicht das Linzer Theater Phönix angesprochen). Premiere einer starken, rasanten Inszenierung von Goethes Sturm-und-Drang-Klassiker war am Donnerstag im Phönix.
Verspiegelt. Simon Jaritz gibt einen kraftmeierischen Götz, der nicht und nicht kapiert, dass Werte wie Freundschaft und Aufrichtigkeit nichts mehr zählen. Ferdinand Kopeinig steigert sich als wankelmütiger Weislingen mit Fortdauer zu atemberaubend dichtem Spiel. Raffiniert die Bühne (Kurt Pint): Das Zentrum der Macht, der kaiserliche Hof in Bamberg, ist ein Spiegelkabinett. Dort räkelt sich die schöne Adelheid (Judith Richter) wie die fette Spinne in Erwartung, welcher Mann sich als nächstes in ihrem Netz verfängt. Streng, weil realistisch: Lisa Fuchs als Götzens Frau Elisabeth. Keck und einnehmend als Diener mehrerer Herren: Theo Helm. Sebastian Pass erinnert als Bischof an einen wohlbeleibten katholischen Würdenträger aus Österreich – komisch!
Komödiant. Publikumsliebling war Christian Scharrer: wehleidiges Naiverl oder entscheidungsschwacher Kaiser. Man wünscht sich einen ganzen Abend mit einem Stück, zugeschnitten auf diesen begnadeten Komödianten. Langer, langer Applaus.
Phönix-Theater eröffnet die Saison mit „Götz von Berlichingen“:
Was das Linzer Phönix-Theater kann: einen Klassiker wie Goethes „Götz von Berlichingen“ so aufzubereiten, dass man nahezu zwei Stunden wirklich gerne zuschaut. Was das Phönix nicht immer kann: alle guten Rollen auch wirklich adäquat zu besetzen. Daran kränkelt auch diese sonst taufrische Toma-Inszenierung.
„Sturm und Drang“ heißt das Motto der neuen Phönix-Saison. Der „Götz von Berlichingen“ richtet sich im allerweitesten Sinne gegen „die Geistesverwüstung“ (Goethe) – so gesehen könnte das Stück hochaktuell sein. Regisseur Ioan C. Toma hütet sich allerdings vor gröberen Modernisierungen. Dennoch bietet er nahezu zwei Stunden eine ansprechende Einführung in lebendige Literaturgeschichte: Es wird gestürmt und gedrängt. Dass mich das Drama trotzdem seltsam unberührt lässt, liegt wohl zum Teil – aber nicht nur – an den (Doppel)-Besetzungen: Simon Jaritz ist ein polternder Götz, der Facetten zwar andeutet, aber nicht ausspielt. Seinem Gegenüber Weislingen (Ferdinand Kopeinig, der auch den Sickingen spielt) ergeht es ähnlich. Judith Richter scheint mit dem Hin und Her zwischen Maria und Adelheid ebenfalls nicht wirklich zurechtzukommen. Und Theo Helm ist einmal der Bube Georg, einmal der Bube Franz. Da bleiben wesentliche Nuancen auf der Strecke. Hervorragend: das gefinkelte Bühnen-Spiegelbild von Kurt Pint.