Wie einfach es die Reichen haben und wie schwer das Leben der Armen ist, darüber könnten sich Wendelin und sein alter Vater Pfrim stundenlang echauffieren. Sie leben in bitterer Armut, während der geldgierige Herr von Stromberg „Goldstickereien am Frack“ trägt. Seit Stromberg den gütigen Herrn von Reichthal, der die arme Schusterfamilie unterstützt hatte, verleumdet und ins Gefängnis gebracht hat, ist alles noch schwieriger geworden. Und nun hat Wendelin auch seinen Job als Gefangenenwärtergehilfe verloren, weil er dem unschuldigen Reichthal zur Flucht verholfen hat. Als Wendelin und sein Vater sich heute so richtig in Rage reden über die Ungerechtigkeit dieser Welt, geht es mit Wendelin durch: er beschwört den Teufel zu erscheinen. Denn „der Teufel is überhaupt nicht das Schlechteste, ich lass‘ mich lieber mit ihm als mit manchem Menschen ein.“ Und: „Satan, Teufel, Mephisto … erschein‘! Erschein‘!!!“ Da schwingt mit einem Donnerschlag eine dunkle Gestalt im langen Mantel herein, drückt Wendelin einen Stapel Geldscheine in die Hand und fordert ihn zum Kleidertausch auf. Der Preis sei „das Seelenheil eines Menschen“. Tatsächlich ist der Fremde nicht der Teufel, sondern nur Oberrichter von Thurming, der sich vom Dach seiner heimlichen Geliebten Adele, der Nichte von Stromberg und Reichthal, davonstahl. Auch wenn Wendelin keine Ahnung von dessen wahrer Identität hat – er hat ab jetzt einen sehr mächtigen Freund …
„Höllenangst“ ist eine dunkle Komödie voller unbändiger Energie und archaischem Witz. Geschrieben im nahen Eindruck der Revolution von 1848 zeigt sie, wie schwer es ist, eine neue gesellschaftliche Ordnung zu etablieren. Endlich setzt sich ein bisschen Gerechtigkeit durch, schon wächst die Paranoia, es mit dem Teufel zu tun zu haben.
Das Theater Phönix setzt zum Saisonstart auf Gesellschaftskritik und Groteske und verlässt sich dabei auf Johann Nestroy. Völlig zu Recht - „Höllenangst" glänzt durch Aktualität, Sprachwitz und ideale Besetzung.
Linz - Es ist ein würdiger Auftakt im Theater Phönix, als Ensembleleistung, aber auch weil mit Peter Badstübner als Gast die Rolle des Schusters Pfrim wunderbar besetzt ist. Gleichermaßen verschlagen wie unbeholfen schlurft er über die Bühne, redet sich angesichts der Ungerechtigkeit der Welt in Rage. Dessen ungeachtet lässt er die eigene Bereitschaft zur Schlechtigkeit ungehemmt durchblitzen oder sich von einem Sofa in aufdringlich-demütigster Körperhaltung fast verschlucken.
Über zwei Stunden lang ist es eine absolute Freude, dem karl-valentineske Spiel des 1959 in Chemnitz geborenen Schauspielers zuzusehen. Pfrim und dessen Frau (bösartig als betende „Zwergin" mit einem auf Knien rutschenden Felix Rank besetzt) spielen die verarmten Eltern von Wendelin (ebenfalls als Gast: Sebastian Pass), der - weil's eh schon wurscht is - den Teufel beschwört:
„Der Teufel is überhaupt nicht das Schlechteste, ich lass mich lieber mit ihm als mit manchem Menschen ein." Tatsächlich schwingt sich nach der Beschwörung ein solcher durch die Nacht und überlässt Wendelin ein Säckchen voller Dukaten und Kleidung im Gegenzug zu dessen Seelenheil. Allerdings aus völlig anderen Motiven, als Wendelin denkt. Der aber ist überzeugt, mit dem Teufel einen Pakt geschlossen und in ihm einen Förderer gefunden zu haben.
Zieht er zu Beginn noch aufrührerisch gegen den vermögenden und bösartigen Freiherrn von Stromberg (ebenfalls Badstübner), verlässt er sich nun auf die Unterstützung des Teufels -Schicksalsglaube schlägt politischen Handlungsdrang, nach dem Motto: Wenn einer für Gerechtigkeit sorgen kann, dann wohl der Teufel.
Regisseurin Susanne Lietzow arbeitet auch hier den aktuellen Bezug der 1849 entstandenen Posse mit Gesang (live: Gilbert Handler) deutlich, aber fein unaufdringlich heraus: Nicht allein die Reichen und Mächtigen halten an der bestehenden Ordnung fest, auch die Armen fügen sich vorschnell ihrem Schicksal.
Eine vergnüglich inszenierte und gespielte „Höllenangst" von Nestroy im Linzer Theater Phönix
Und plötzlich wird Elvis Presleys Hit „Devil In Disguise" daraus, den Gilbert Handler dem Wendelin ins Ohr röhrt. Das ist nur eine der vielen erfrischend eigenwilligen und in der Umsetzung geglückten Ideen von Regisseurin Susanne Lietzow, die sich der „Höllenangst“ von Johann Nestroy (1801-1862) mit offensichtlich intensiver Auseinandersetzung, viel Witz und Humor, aber auch dem nötigen Ernst und Tiefgang und einer Menge an assoziativen Bild-Elementen widmet.
Es bereitet immer wieder Freude, die Texte Nestroys auf der Theaterbühne hören zu können, die nach wie vor packend, ewig aktuell und revolutionär sind. In „Höllenangst" geht es um reiche Schurken und um arme Teufel, die sich nicht einmal mehr an das Prinzip Hoffnung klammern können. „Höllenangst“ ist eine sozialkritische Anklage im Tarngewand der Posse.
Die Regisseurin hat sich für einen großteils Comic-ähnlichen Inszenierungsstil entschieden - das macht Spaß, das macht Vergnügen! Manche Figuren könnten von Wilhelm Busch entworfen (wie der Schuster Pfrim) oder einem Stummfilm entstiegen (wie Diener Johann als Herman-Munster-Kopie) sein. Mit vielen Slapstick-Szenen, Donnergrollen, Blitz und Regen läuft die Posse um den armen Wendelin, der sich dem vermeintlichen Teufel verschreibt, weil er keinen anderen Ausweg mehr aus seinem Elend sieht, ab.
Manchmal gibt es vor der Pause ein paar tempomäßige Durchhänger, die aber schnell wieder vom umtriebigen Spiel eines großartigen Ensembles aufgefangen werden. Lietzow scheut den Klamauk nicht, driftet aber nie ins platte Klischee ab. Dabei wird sie kongenial unterstützt von Ausstatterin Marie-Luise Lichtenthal, die mit wenigen Objekten Atmosphäre vermittelt: der derangierte Einkaufswagen, in dem die arme Schusterfamilie haust, das übergroße Eingangstor als Eingang in eine andere Welt zum Palast des Freiherrn von Stromberg, das Schrottvehikel bei der lachtränentreibenden Pilgerfahrt, die grobe Palettenstiege zum Olymp des Sängers ... Die Bühnenfiguren steckt sie in karikierende Kostüme, die entweder aus der Form geraten, zu klein oder zu groß sind, was dem skurrilen Personenkabinett noch mehr Schrulligkeit gibt.
Phönix-Gast Peter Badstüber ist ein Glücksgriff! Spindeldürr und in körperlicher Schieflage verkörpert er herrlich die ganze Trostlosigkeit des Flickschusters, dem er eine ganz eigene Kunstsprache gibt, die das ansonsten Wienerische an dieser Figur absolut nicht vermissen lässt. Als Freiherr von Stromberg zeigt Badstübner auch seine schauspielerische Wandelfähigkeit. Das tut auch Matthias Hack als „guter" Freiherr und als Diener Johann, eine steife Marionette seines Herrn. Felix Rank ist gschamster Diener ebenso wie auf Knien rutschendes und gottesfürchtiges Schuster Eheweib. Behände schwingt sich David Fuchs als Richter Thurming vom Balkon seiner geliebten Adele (Lisa Fuchs ist so, wie Nestroy eben viele Frauenfiguren .geschrieben hat naiv und den Mann anhimmelnd). Resoluter und frecher ist da schon Judith Richter als Rosalie.
Personifizierte Verzweiflung
Sebastian Pass als Wendelin ist kein wütend zupackender Held des Proletariats, sondern die personifizierte Traurigkeit und Verzweiflung, die überhaupt kein Licht mehr am Ende des tief schwarzen Tunnels sieht. Am Ende fesselt er mit einem derart wunderbaren Schicksalsmonolog, dass es mucksmäuschenstill im Saal wird. Ja, und Sänger Gilbert Handler: eine Wucht! Er brummt tief wie Nick Cave und schwingt sich in Falsett-Höhen wie Klaus Nomi. Zweieinviertel Stunden kurzweilige Posse: sehenswert!
Premiere: „Höllenangst", Posse mit Gesang von Johann Nestroy, im Linzer Phönix
Satin mit Satan verwechselt der junge Wendelin, als ihm in einer Gewitternacht ein wildfremder Kerl in schwarz-glänzendem Mantel und Zylinder erscheint und für einen Kleidertausch einen Beutel Golddukaten, bietet. Und zwar just als der arbeitslose, mit der Welt hadernde Schusterssohn den, Beelzebub in drei Teufels Namen regelrecht herbeizitiert hat.
Doch der Mann im teufelstauglichem Outfit ist ein Wahrheit der Oberrichter Thurming, der nicht auf satanischen Bocksfüßen, sondern auf verliebten Freiersfüßen wandelt. Seine halsbrecherische Flucht aus dem Schlafgemach seiner Adele, dem Mündel des fiesen Barons Stromberg, gibt erst Anlass zur teuflischen Verwechslung.
Fortan wähnt sich Wendelin in einem Höllenpakt à la Faust, schreibt alles Gute, das ihm im Leben widerfährt, dem Bösen zu, und hält Thurming für den „Oberrichter von unten“ … Regisseurin Susanne Lietzow hatte für ihre Inszenierung, die am Donnerstag im Theater Phönix Premiere feierte, keine „Posse mit Gesang“ im heimeligen Nestroy-Wien im Sinn. Vielmehr kreierte sie eine von Angst, Arbeits- und Ausweglosigkeit geprägte Stimmung. Angst dominierte auch den Zeitgeist, als Nestroys Stück 1849, nach der Niederschlagung der Revolution, seine Uraufführung erlebte (und danach hundert Jahre in der Versenkung verschwand).
Die Wiener in die Linzer Vorstadt verlegt
Sie wird hier schon in der stimmigen, Slum-artigen Vorstadt-Bühne samt Autowrack spürbar, auf der Ausstatterin Marie-Luise Lichtenthal das meiste schmückende Beiwerk gleichsam weggehobelt hat. In ihrer durchaus aktuellen, geschickt zwischen Sarkasmus, Ironie und Melancholie balancierenden Proletarier-Komödie hat Lietzow die Couplets, in die sonst Zeitkritik verpackt wird, durch moritatenähnliche Songs ersetzt: Der im Bühnenhintergrund werkende Musiker Gilbert Handler trägt als „Stranger in the Night“ im Stile eines Serge Gainsbourg viel zum gelungenen Abend bei.
So wie Sebastian Pass, der als fiebrig-somnambuler Rappelkopf Wendelin ein fulminantes Comeback im Phönix feiert. In Wendelins freiwilliger wie unfreiwilliger Komik in nichts nach steht ihm sein flickschusternder Vater Pfrim, als der Peter Badstübner viele herrliche Momente hat. Beide raunzen und räsonieren als veritable Trübsinnsspezialisten, dass es eine Freude ist. Köstlich auch Felix Rank als Pfrims keifendes Weib. David Fuchs beweist als blässlich-blasierter Richter bei seiner Flucht in luftigen Höhen in „Höllenangst“ zumindest keine Höhenangst.
Die zweienhalbstündige Premiere bereitete den Zuschauern teuflisches Vergnügen, und mit dem Teufel müsste es auch zugehen, wenn nicht auch die Folgevorstellungen bis 2. November zum Renner würden.
Das Linzer Theater Phönix startet mit Nestroys „Höllenangst“ in die neue Saison
Der Linzer Theaterherbst startete mit einer unbeschreiblich tollen Inszenierung von Nestroys „Höllenangst“ im Theater Phönix. Regisseurin Susanne Lietzow verlegt die Komödie in ein albtraumhaftes Kabinett mit teuflisch-witzigen Ideen für Bühne und Schauspiel. Eine umjubelte Premiere!
Der arme Schlucker Wendelin Pfriem kommt über Nacht zu Geld. Der Teufel persönlich habe es ihm beschert, glaubt er. Doch Wendelin sitzt nur einem Schabernack auf, den der Oberrichter mit ihm treibt, wie auch der wahre Teufel, der Freiherr von Stromberg ...
Susanne Lietzow torpediert Nestroys Komödienklassiker mit reizvollen Einfällen für Bühne und Spiel in eine albtraumhafte Gegenwart. Auf der Bühne (Ausstattung Marie-Luise Lichtenthal) ist alles kaputt, rostig, verrückt. Schauplatzwechsel werden offen, brutal und witzig vollzogen. Der Lampenschirm über dem Einkaufswagen wird zum Schaukelstuhl und zugleich zur Wohnung der armen Pfriems - oder das Sofa zum Haus vom Oberrichter. Die bizarren Bühnenideen sind in ein fulminantes Spiel ein gebettet, das sowohl die Nestroy-Tradition bedient, sich zugleich aber auch darüber erhebt. Lachen braucht heute andere Gründe.
Peter Badstübner brilliert als Vater Pfriem, er ist Karikatur und Wahrhaftigkeit zugleich. An seiner Seite watschelt die Gattin - das kleine „Weibi“ - die Felix Rank auf Knien rutschen lässt. Sohn Wendelin lässt Sebastian Pass einen ehrlichen, armen Teufel sein. Matthias Hack macht aus dem Diener des Freiherrn einen seelenlosen Funktionierer, und David Fuchs zieht als Oberrichter die Fäden. Die Damen von Lisa Fuchs und Judith Richter bleiben Spezialisten der Liebe. Beeindruckend ist die Übertragung der Couplets ins Heute, denn Gilbert Handler verstärkt als Musiker und Live-Sänger diese „Höllenangst“ und komplettiert den teuflischen Theaterspaß!