Nur noch bis
Sonntag, 28. Oktober!
„Die deutschen Hausmärchen, pflegt man zu sagen, haben keine Verfasser. Sie wurden von Mund zu Mund weitergetragen ... Als ein solches Märchen mag man auch die Geschichte von Jedermann ansehen. Man hat sie an vielen Orten in vielen Fassungen erzählt“, schreibt Hugo von Hofmannsthal in seinem Vorwort zu „Jedermann“.
Mit „jedermann / leben. sterben. schwerkraft.“ steuert das Theater Phönix neue Gewässer an. Auf den Themen von Hofmannsthals Werk aufbauend assoziiert sich der Abend quer durch den Kosmos des Klassikers. Der reiche Mann, der alles hat, was er zum Leben braucht, ist längst kein Einzelschicksal mehr, sondern Lebensalltag des westeuropäischen Mittelstandes. Der Abend verschiebt den Fokus von einem Einzelschicksal hin zu einem gesellschaftlichen Schicksal und benutzt dabei neben Auszügen aus dem Originaltext auch Teile der ersten Fassung des „Jedermann“, die Hofmannsthal 1905 schrieb und die bis dato nie zur Aufführung kam. Mit „jedermann / leben. sterben. schwerkraft.“ werden die Fragen nach sozialer und ethischer Verantwortung lustvoll neu formuliert. Und wenn der Tod an die Tür klopft, dann könnte es durchaus sein, dass er einen fiebrigen Bildersturm an Visionen auslöst.
Theater Phönix: Krachbunte Premiere von Josef Maria Krasanovskys „jedermann/leben, sterben. Schwerkraft“
Sympathie wird meist ohne rationales Fundament verteilt. Das ist etwas, das zupackt und nicht mehr loslässt. So wirkt Josef Maria Krasanovskys Theater-Panoptikum. Am Donnerstag hatte seine Jedermann-Collage „leben, sterben. schwerkraft.“ nach Hugo von Hofmannsthal im Linzer Theater Phönix Premiere, und je später der Abend, desto schöner die Gedanken, die um die krachbunte Revue vom Leben und Sterben reicher Menschen und tanzender Frösche kreisen. Krasanovsky hat dem Stoff die Katholiken-Propaganda herausgeschnitten und neue Text-Fleckchen aufgenäht. Diesen bezaubernden Spaß pflastert er mit irren Allegorien (Sterne, Äpfel, Stiere, Indianer, Schwarzer Peter, Schwarze Petra ...) zu einem Highway der Absurdität, auf dem die Tischgesellschaft Polonaise tanzt. Die Mammon-Szene gerät zum glitzernden Monster-Rap, der Monolog über die Überlebenstechnik der Seegurke (Marion Reiser) oder der mit herziger Traurigkeit geweinte Bambis-Hit „Melancholie“ (Felix Rank) sind zwei weitere Seitenstraßen bei der Fragerallye, was nach dem Tod mit der Seele geschieht.
Vom insgesamt blendenden Ensemble (Adrian Hildebrandt, Markus Hamele, Nadine Breitfuß, Claudia Carus, Gernot Pfiff, Anna Maria Eder) angestiftet, bäumt sich ein eineinhalbstündiges Agoniefieber auf, in dem man gerne schwitzt, lacht und grübelt. Was der Mensch nicht zu leisten imstande ist, muss der wertoptimierte Tote schaffen, nachdem seine Asche zu Diamanten gepresst wurde. Auf der prächtigen Bühne im Beton-Look prangt ein riesiges Kreuz. Es droht in einem fort, dass wir ohne Götzen nicht auskommen. Und doch ist auf keinen Götzen so Verlass wie auf den Tod. Er trifft Maifliegen und Galaxien. Bilden wir uns auf das Einzelschicksal nichts ein, es ist universell.
Fazit: Ein vor Lust und Absurdem schreiender Abend über die Vergänglichkeit, von einem mitreißenden Ensemble famos angeheizt.
Phönix-Premiere mit schräger Interpretation: „jedermann / leben, sterben. schwerkraft“
Die Unsterblichkeit der Seegurke abzufeiern, die höchstens einmal ein Japaner ausnimmt und kocht, um selbst dem Irdischen ewig verbunden zu bleiben, ist doch Grund genug, sich im Theater Phönix Josef Maria Krasanovskys „Jedermann“ anzuschauen. Er hat Hugo von Hofmannsthals bekanntes Werk samt der wenig bekannten Fassung von 1905 aufgegriffen, um einen skurrilen Reigen an Assoziationen in Gang zu setzen, Knittelverse und eigene Prosa ... Leben und Sterben des reichen Mannes wird so zu einer Allegorie auf die Vergänglichkeit, in der nicht immer alles nachvollziehbar bzw. stringent ist: „jedermann / leben, sterben. schwerkraft“. Premiere war am Donnerstag. Religiöse Aspekte hat Krasanovsky ausgeblendet, obwohl die aus grauen Quadern gefertigte Bühne (Vincent Mesnaritsch) an der Rückwand ein riesiges Kreuz offen lässt und auch als Sterberaum durchgehen könnte. Was bleibt von einem Leichnam? Zweieinhalb Kilo Asche. Aus dieser lasse sich ein Diamant für einen Ring fertigen - damit wäre der tote Vater mehr wert als zu Lebzeiten. Zynismus pur. Die Schöpfung an sich kommt nicht besser weg - bis hin zur verschwindenden Galaxie.
Auch wenn die Tableaus nicht als geschlossenes Werk gelten mögen, sind sie doch eine irrwitzige Abfolge, die mit dem flüssigen Rhythmus der Sprache punkten kann. Dazu kommen Einlagen wie die von Felix Rank, der das Sterben mit „Melancholie“ in Art der Bambis besingt, die quirlige Claudia Carus, die nur als Apfel etwas eingeschränkt ist, köstlich. Ein „Fest zur letzten Ehr“, das hier abgebrannt wird. Nadine Breitfuß als Lametta 2, der schnöde Mammon, Geld regiert die Welt. Markus Hamele blickt als Indianer in die ewigen Jagdgründe, Adrian Hildebrandt ist Stern und fliegender Messias ... und alle sind Jedermann & Jederfrau. Fantasievolle Gewandung von A. Daphne Katzinger, analoge Synthesizer, Markus Jakisic cool einsetzt. Und dazu Krasanovskys erfrischend originäre Interpretation, die man - auch wenn nicht immer plausibel - auf sich wirken lässt, einfach so.
Linzer Theater Phönix eröffnet die neue Saison mit einem exaltierten Bilderbogen
Der Herbst beginnt bunt: Im Linzer Theater Phönix inszeniert Josef Maria Krasanovsky die Revue „Jedermann. Leben. Sterben. Schwerkraft“. Der wahnwitzige, exaltierte und sehenswerte Bilderbogen tastet ab, was wir aufführen, bevor es ab in die Grube geht. Klassische Satzfetzen bilden dabei den roten Faden.
In dieser Version des „Jedermann“ ist zwar nicht viel von Hofmannsthals Lebensspiel übrig geblieben. Aber Autor und Regisseur Josef Maria Krasanovsky gelingt es, die Essenz zu destillieren. Sogar höchst aktuell! Es gibt nicht mehr den einen, einzigen reichen Mann, sondern viele. Der Schwarze Peter hat eine Petra dabei und Sex wird hier natürlich etwas wilder thematisiert.
Er setzt gemeinsam mit Bühnenbildner Vincent Mesnaritsch einen bizarren Totentanz in eine Aufbahrungshalle hinein. Tückisch: Man bemerkt nicht sofort, wo man da gelandet ist. Erst als es richtig ans Sterben geht, öffnen sich Luken und ein dunkles Kreuz wird zur Bühne für den weiblichen Tod im gelben Kleid.
Bis dahin und darüber hinaus wird in revueartigen Szenenfolgen der heutige Reichtum, der schnelle, exaltierte Lebensstil und die Sinnentleerung einer gelangweilten Gesellschaft abgetastet. Das geschieht mit tänzerischen Einlagen, Showgehabe, Glitzer und Glamour sowie absurden, tiefgehenden, ja sogar anstößigen Dialogen. Klassiker-Zitate sind der Kitt im eigenwilligen Poetry Slam, der etwa von Adrian Hildebrandt, Felix Rank, Marion Reiser oder Markus Hamele abgearbeitet wird.
Besonders wichtig sind dieses Mal die prächtigen Kostüme von A. Daphne Katzinger. Sie machen aus den Menschen, die sich vor dem grauen Ambiente verausgaben, strenge Mütter, Engel, Vögel oder stammelnde Prärieindianer. Dem Tod kann man nur mit schrägen Einlagen eins auswischen. Heftiger Beifall für die gewagte, ungewöhnliche Annäherung an den Festspiel-Klassiker!