Im Netz und auf der Straße protestiert die Mehrheit gegen die Zumutungen der Demokratie, hetzt immer lauter gegen Fremde, Schwule, Tofuschnitzel. Für die anderen bleibt nur die Flucht zum Mars, wo das Experiment einer freien, friedlichen und gleichberechtigten Gesellschaft noch einmal neu gestartet werden soll. Einen Platz in der bereitstehenden Rakete bekommen aber lediglich Zweierteams aus Mann und Frau, der Fortpflanzung geschuldet – eine große Hürde, denn was könnte schwerer sein als eine funktionierende Beziehung?
Unter Zeitdruck muss der passende Partner gecastet werden, um einer Welt entfliehen zu können, die zunehmend verroht und nationalistische Parolen brüllt. Doch wie tief soll man die eigenen Ansprüche schrauben? Wie sehr entspricht man selbst dem eigenen Ideal? Und wie vereinbar sind privates Glück und politischer Widerstand? „Nach uns das All“ zeigt eine Generation, die genderübergreifend komplett ratlos ist und für die es immer weniger richtige Alternativen im falschen Leben gibt.
Sibylle Berg wurde 1968 in Weimar geboren und lebt als Autorin, Dramatikerin und Publizistin in Zürich und Tel Aviv. Ihre Romane und Theaterstücke wurden mittlerweile in rund 30 Sprachen übersetzt. Für ihre Werke wurde sie u.a. mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet.
Mit langem Applaus und Jubelrufen sind Marion Reiser und Felix Rank Donnerstagabend im Linzer Theater Phönix belohnt worden - die beiden spielten sich in rund 75 Minuten durch die Österreichische Erstaufführung von Sibylle Bergs „Nach uns das All oder Das innere Team kennt keine Pause“. Politisch, sarkastisch und textgewaltig ist das Stück, das im Kern von Menschen und Beziehungen handelt.
Berg schließt damit eine Trilogie ab, zu deren Beginn junge Frauen ihren Platz in der Welt suchten, dann wurden sie Mütter und nun suchen sie wieder einen Platz, allerdings nicht auf dieser Welt, denn die ist beherrscht von einer Mehrheit, die gegen Fremde, Schwule und Emanzipation zu Felde zieht. Und: „Keiner, den wir kennen, geht in den bewaffneten Widerstand.“ Bleibt der Flug zum Mars. Doch dorthin geht es nur paarweise und auf der Bühne findet ein Casting statt - für den Rest des Lebens in der ungewissen neuen Heimat.
In Happen bekommen die Zuschauer ein erschreckendes Bild serviert, von Bürgerbewegungen gegen Juden, gegen Bienen und gegen Bücher, einer Welt regiert von Männern, die nackt auf Pferden sitzen und eine Mauer um ihr Land gebaut haben, acht Milliarden Menschen und ebenso vielen Robotern. Begonnen habe es mit einer Anzeigepflicht, wenn die Nachbarn fremdländische Wurst essen, dann kamen die fremdländischen Hunde weg, erfährt man peu à peu.
Dazwischen vorgetragene User-Postings, etwa „da darf man sich halt nichts zuschulden kommen lassen“ und „wird das wo gestreamt?“ zur Einführung der Todesstrafe. Vielsagende Blicke und nur einige Lacher im Publikum nähren den Verdacht, dass Berg mit ihrem 2017 uraufgeführten sarkastischen Text eine Dystopie nahe an den Ängsten der Menschen, unweit des für möglich Gehaltenen geschaffen hat. Überwachung, Zensur, Relikte aus der Nazi-Zeit und gegenwärtige gesellschaftspolitische Tendenzen werden thematisiert und überzeichnet.
Doch Regime hin und Angst vor Repressalien her, die zwei auf der Bühne müssen ein Paar werden, sonst fliegt die Rakete ohne sie. Und darum geht es im Kern: Um den Mensch als Individuum und seine Beziehungen, speziell jene zum Lebens-/Liebes-/Sexualpartner, und was er da hineinprojiziert. „Ich suche jemanden, der mir nicht auf die Nerven geht“, verlangt Reiser nicht viel - oder gerade doch? Das Thema von Mann und Frau, gelebte Klischees und geliebte Visionen machen auch vor Menschen auf dem Weg zu einem neuen Leben nicht halt und halten alles auf. „Was habt ihr gemacht, als die Welt unterging?“ „Wir haben über Beziehungen geredet.“
Reiser und Rank bewältigen die Textkaskaden mühelos - Regisseurin Barbara Falter reduzierte das Stück auf zwei Personen, kürzte aber nicht den Text. Die beiden Phönix-Ensemblemitglieder verlieren nie das Tempo oder den Faden, meistern alle Übergänge, spiegeln eine Gefühlspalette von Hoffnung bis Resignation wider und tragen das Stück mit ihrer Präsenz. Sie spielen mit Mimik, Gestik, Kleidung und in einem intimen Moment auch mit ihren Füßen.
Dominik Freynschlag inszeniert die Bühne im kleinen Balkon-Raum des Theaters gekonnt. Der von Torbögen gesäumte Gang erinnert an einen Flugzeugrumpf. Durch eine Webcam im mittleren Bogen, die an außen an den Rahmen angebrachte Bildschirme überträgt, sind einerseits die am Rand sitzenden Zuschauer stets im Bilde, andererseits werden so gelungene Dramaturgieeffekte hergestellt.
Es ist schon eine enorme Menge an Text, die da auf einen niederprasselt. Souverän aber gehen die beiden Akteure - Marion Reiser fällt dabei der weitaus größere Teil zu -mit dem Textungetüm um, das eine Herausforderung für alle ist. Die deutsche Autorin Sibylle Berg packt in ihren 2017 uraufgeführten Text mit dem elendslangen Titel „Nach uns das All oder Das innere Team kennt keine Pause“ Befindlichkeiten, Gedankenstränge, Analyse von Ist-Zuständen und erschreckende Zukunftsvisionen. Das macht sie klug, politisch, ironisch bis sarkastisch: sicherlich kein großer dramatischer Wurf, aber immerhin eine schräge Farce mit erstaunlichen Realitätsbezügen.
Die Bürgerwehr passt auf
Auf der Erde ist es ungemütlich geworden: Die Demokratie gibt es nicht mehr, Länder werden regiert von „Männern, die nackt auf Pferden sitzen und Mauern rundherum bauen“. Es gibt Anzeigenpflicht, wenn Nachbarn fremdländische Wurst gegessen haben und auch fremdländische Hunde wurden verboten. Eine Bürgerwehr schaut auf Ordnung und die Bevölkerung protestiert gegen Schwule, Ausländer, Bienen und Bücher.
„Der Geburtskanal der deutschen Frau sollte der einzige Zuwanderungsweg sein“, heißt es einmal. Und dazwischen werden Postings vorgetragen, etwa die Frage nach Einführung der Todesstrafe, ob das denn irgendwo gestreamt werde? Das Publikum schwankt zwischen Lachen und Entsetzen.
Das Leben auf der Erde ist unerträglich geworden, deshalb soll auf dem Mars eine neue Gesellschaft begründet werden, doch zwecks Fortpflanzung geht es nur paarweise ab mit der Rakete.
Sibylle Berg macht es auch der Regie nicht einfach, weil sie eben kein Stück im üblichen Sinne mit Figuren geschrieben hat, sondern Textflächen für „beliebig viele W-und M-Stimmen“, will heißen: beliebig viele Männer und Frauen. Regisseurin Barbara Falter hat sich für eine Zwei-Personen-Variante entschieden. Um aber pure Deklamation zu vermeiden, muss Bewegung sein: Die entsteht auf einer Art Laufsteg, einem Flugzeugrumpf ähnlich, den Dominik Freynschlag in den länglichen Raum des Theaterbalkons gebaut hat. Die Regisseurin lässt das Geschehen, das sich auf das Wort konzentriert, ruhig und unaufgeregt ablaufen. Marion Reiser bewältigt perfekt mit den richtigen Betonungen und den punktgenauen, kurzen Sprechpausen diesen Textkosmos. Mit Felix Rank findet sich ein kongenialer Partner.
Fazit: Ein wortlastiges Textkonglomerat souverän von den Phönix-Ensemblemitgliedern Marion Reiser und Felix Rank bewältigt
Pointierte Gesellschaftskritik mit Witz und Ironie genossen die Zuschauer bei der Österreichischen Erstaufführung von „Nach uns das All oder Das innere Team kennt keine Pause“ von Sibylle Berg im Linzer Theater Phönix. In dem bissigen Zwei-Personen-Stück wird die Flucht auf den Planeten Mars vorbereitet.
„Die Menschen wollen sich endlich mal wieder auf die Fresse hauen“, stellt eine Frau trocken fest, als sie sich den Zustand der zugrundegehenden Welt anschaut.
Und beschließt, die Koffer zu packen und auf den Mars zu flüchten - natürlich mit einem männlichen Gegenpart, zwecks Fortpflanzung. Marion Reiser bewegt sich im pseudo-futuristisch angehauchten Bühnenbild von Dominik Freynschlag selbstsicher zwischen den gegenüberliegenden Publikumsreihen und schmettert ohne Punkt und Komma Betrachtungen über ihre dystopische Welt in die Menge. Ihr ebenfalls namenloser männlicher Gegenpart wird von Felix Rank als unsicherer Weichling mit Identitätsproblemen dargestellt, der sich vor dem WLAN-losen Planeten furchtet. Die Regie von Barbara Falter sorgt dafür, dass es im Theater Phönix keinen Puffer für die Zuschauer gibt, Sibylle Bergs Gesellschaftskritik trifft mit voller Wucht. Eine gelungene österreichische Erstaufführung, die lange nachhallt.
„Nach uns das All“, nächste Vorstellungen: 2., 3., 5., 6., 7. März
„Frau“ tritt auf. „So!“ Das kleine Wort, das jede Handlung zum intensiven Moment macht. Sie stellt die blaue Kühlbox ab, kleiner Scherz, denn auf dem Mars soll es 55 Grad minus haben. In einer Stunde ist Abflug in die basisdemokratische neue Welt, leider müssen auch Männer mit. Deren Fortpflanzungstauglichkeit gecheckt, sodann angetreten zum Casting. „Mann“ leiert vor der Kamera Biografien herunter. Ist auch völlig egal, virtuell kann jeder alles behaupten.
Eine Polemik mit scharfem Witz
Teil drei von Sibylle Bergs Serie „Menschen mit Problemen“, „Nach uns das All oder Das innere Team kennt keine Pause“. Österreichische Erstaufführung war Donnerstag im Balkon des Linzer Theater Phönix, nach 75 Minuten heftiger Beifall. Eine Polemik mit scharfem Witz, die deutsch-schweizerische Autorin spinnt das Erstarken von Wutparteien und von Hass im Netz konsequent weiter. Eine Möglichkeit, wohin die Reise geht. Die Mehrheit in naher Zukunft vom Joch der Freiheit befreit, die Demokratie abgeschafft. Alles, was nicht Schweinefleisch isst, wurde außer Landes geschafft. Nur noch Reste der guten alten Achtsamkeit.
Die Schauspieler sind vor allem Text-Körper
Nenn\' einen Nazi nicht so, da schwingt zu viel Negatives mit, auch Nazis haben Gefühle. Auf den Straßen Gewalt, Bürgerwehren auf der verzweifelten Suche nach Außengrenzen. Die langgezogene Bühne (Dominik Freynschlag) ein retro-futuristisches Gerippe, an den Seiten Bildschirme. Ein Catwalk für die Männer, begleitet von kühlen, melancholischen Sounds von Bernhard Fleischmann. Die Schauspieler sind vor allem Text-Körper, durchlässig für Bergs bissige Satire. Regisseurin Barbara Falter würzt noch mit dezenten Witzeleien, live gefilmt das Schälen einer Orange samt auf Monitor gebanntem Stillleben. Wie einer dieser sinnfreien Youtube-Clips. Felix Rank ist der Einheitsmann Torben, den am Ende kurz Selbsterkenntnis streift: Ich bin Durchschnitt. Marion Reiser spielt „Frau“, ebenso verunsichert wie „Mann“. Gibt sich witzig-schnippisch, vermasselt den Abflug: Sie kann sich für keinen Mann entscheiden. Diese Möchte-gern-Marsianer so hilflos wie der wütende Mob. Nähe wird nur für die Kamera inszeniert, gelernt haben sie, dass sie etwas Besonderes wären. Oberflächliche Lemuren, nie ganz beim anderen, ständig mit suchendem Blick nach noch interessanteren Leuten. Das Ende schön beiläufig serviert. Sibylle Berg gestattet sich klitzekleines Pathos, Tränen von „Mann“. Die Traurigkeit das Letzte, das die Wütenden und die vermeintlich Zukunftsfitten eint.