Ich find ja, sie verleitet zur Hysterie ...
... Die Liebe.
Immer alle nur hysterisch.
Charlotte und ihr Verlobter Max haben sich ein schmuckes Eigenheim auf dem Land gekauft und planen nun ihre Hochzeit. Alles gut. Eigentlich. Doch während Max selbstsicher und zielstrebig seinen Lebensplan verfolgt – Karriere, Haus, Hochzeit –, macht sich in Charlotte zunehmend eine diffuse Unruhe breit. Die Souveränität, mit der Max Charlottes Leben genauso mitbestimmt, wie er die immer neuen Umbauten am Haus plant, werfen in Charlotte immer mehr Fragen und Unsicherheiten auf. Verlockend anders scheint da der neue Nachbar Ulrich, der gerade die verfallende Mühle gegenüber gekauft hat, die Umbauarbeiten aber neben seiner Dissertation nur halbherzig vorantreibt und sich gegen zu viel Sicherheit in seinem Leben sträubt. Charlotte ist zwischen Max und Ulrich hin- und hergerissen, und plötzlich scheint ihr ganzes Leben auf dem Prüfstand zu stehen. Vergessene Lebenspläne und Sehnsüchte tauchen auf, die nie ausgesprochen wurden, jetzt aber für Zweifel sorgen. Lebt Charlotte die falsche Liebe oder ein falsches Leben?
Inspiriert von Goethes berühmter Dreiecksgeschichte „Die Leiden des jungen Werther“ stellt Thomas Arzt in „Werther lieben“ Charlotte ins Zentrum und erzählt mit der Sprache und den Mitteln der Gegenwart von den Ängsten und Sehnsüchten einer Generation, die gelernt hat, ihren eigenen Mittelschichtsträumen zu misstrauen.
Uraufführung: Das Drama „Werther lieben“ des Schlierbacher Theater-Jungstars Thomas Arzt begeisterte restlos im Phönix
Gleich vorweg: „Werther lieben“ aus der Feder des Schlierbacher Autoren-Jungstars Thomas Arzt ist keine postmoderne Neudeutung der berühmten Dreiecksgeschichte, keine zwanghafte Aufmaschelung des Klassikers für das Heute. Sondern ein absolut eigenständiges Theatererlebnis, das die Seelenverwandtschaft zu Goethe nur subtil zelebriert, wie die beeindruckende Uraufführung am Donnerstag im Linzer Theater Phönix demonstrierte.
Charlotte (so zerbrechlich und doch so stark: Phönix-Gast Katharina von Harsdorf) und Max (gewohnt souverän: Markus Hamele) stehen kurz vor der Hochzeit - und den Trümmern ihrer Beziehung. Er kontrolliert nicht nur Karriere und Gefühle, sondern auch das Leben seiner Partnerin. Sie misstraut der Zukunft, und fragt sich, ob Einfamilienhaus, Vermählung und Kinder wirklich Erfüllung verheißen. Die befreundeten Betty (schrill: Isabella Szendzielorz) und Götz (David Fuchs, fein zwischen Spaßvogel und trauriger Gestalt pendelnd) sind viel zu sehr in ihre eigenen Probleme verstrickt, um helfen zu können - oder zu wollen. Das Pflaster, das die Beziehungswunde von Charlotte und Max überdeckt, reißt Ulrich (Felix Rank), der neue Nachbar, herunter. Er ist unkonventionell, ein In-Den-Tag-Hinein-Lebender. Ist er Charlottes Ausweg aus den „Wänden, zwischen denen man gefangen sitzt“, wie Goethe formulierte?
Die Angst vor dem Absturz
Auf der von Georg Lindorfer als leicht grindige Provinzidylle gestalteten Bühne, entspinnt sich ein Drama in fünf Szenarien. Die Hochzeitsszene dient dabei als Bindeglied für dieses „Was wäre wenn ...“-Ringelreia. Zart mit Dialekt gefärbt, seziert Thomas Arzt grandios eine Generation, die aus Angst vor dem beruflichen Absturz vergisst zu leben. „Werther ist hier keine Person, sondern Diagnose. Querverweise auf Goethe setzt Arzt behutsam, etwa als Max von einem Prostituierten Erlebnis in Zürich erzählt. Eine Szene, die von den „Briefen aus der Schweiz“ inspiriert ist, die der Dichterfürst als Kommentar zu „Werther“ verfasste.
Mit sicherer Hand leitet Regisseur Johannes Maile die Figuren durch das Geschehen. Die Übergänge zwischen den mehr als 30 Szenen sind beeindruckend geschmeidig, Video Sequenzen bieten Einblicke in Dusche und Bett des Pärchens Als , Rausschmeißer“ läuft Billy Joels „We Didn\'t Start The Fire“. Perfekt. Wir haben nichts erfunden, singt der „Piano Man“, weder die Angst, die Liebe, noch die Verzweiflung. Darum sind die Themen, die Goethe verhandelte, auch bis heute derart eindringlich. Besonders in den Händen von Thomas Arzt.
Uraufführung von „Werther lieben" des Schlierbachers Thomas Arzt im Phönix
Eigentlich lässt sich alles recht cool an: Man ist Mitte 30 und dabei, die jeweiligen Lebensentwürfe umzusetzen. Meint man. Aber irgendwie ist man doch daneben. In seinem neuen Stück „Werther lieben" setzt sich der aus Schlierbach stammende Autor Thomas Arzt mit diesem Dilemma der Generation der jungen Erwachsenen - seiner Generation, Arzt ist Jahrgang 1983 - auseinander. Am Donnerstagabend erlebte „Werther lieben" am Linzer Theater Phönix nun seine Uraufführung.
Bühnentod nach fünf Minuten
Die aus Goethes berühmtem Briefroman bekannte Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern sei für ihn, sagt Arzt, die Inspiration gewesen. Sein Werther - in der Kostümierung des 18. Jahrhunderts - freilich erleidet bereits nach fünf Minuten den Bühnentod durch seine eigene Hand. Was für das Stück keine wirkliche Relevanz hat, geht es doch in der Folge um eine sehr „heutige" Situation, als Anfangsplot nicht frei von Klischees. Eine junge Frau mit einem Verlobten, der sein Lebensglück in bürgerlichem Beruf, Haus und Garten sucht. Auf der anderen Seite - im wörtlichen Sinn des gelungenen Bühnenbildes von Georg Lindorfer ein „Philosoph" und Freigeist, das Pendant zur Spießigkeit. Erwartungsgemäß ist die Frau hin- und hergerissen zwischen diesen beiden „Typen". Die eigentliche Stärke des Stücks liegt jedoch darin, dass es deutlich macht, wie die Lebensentwürfe immer wieder ins Wanken geraten. Ungestillte Sehnsüchte aufbrechen, Ängste die selbst gezimmerte Zukunft in Frage stellen. Phasenweise geradezu verzweifelt versuchen die Protagonisten ihre jeweilige Sicht einer „glücklichen Beziehung" zu retten. Eine Freundin und ein Freund bestätigen durch ihr Verhalten dieses Bild.
Zwei Textebenen und Videos
Autor Arzt hat zwei Textebenen geschaffen, einerseits die Dialoge, andererseits „Gedanken", die aus dem Off kommen und in besonderer Weise die Sehnsüchte und Liebeshoffnungen ausdrücken. Gelungen auch die Inszenierung von Johannes Maile, der geschickt reales Geschehen auf der Bühne mit Videoeinspielungen verbindet und damit mehrere „Orte" der Handlung schafft. Die Musik von Armin Lehner und die Kostüme von Elke Gattinger runden den positiven Gesamteindruck ab.
Nicht zu vergessen die schauspielerische Leistung' des jungen - und damit altersmäßig zur Generation des Stücks passenden - Ensembles: Katharina von Harsdorf als die Frau zwischen zwei Männern, Markus Hamele als ihr Verlobter, Isabella Szendzielorz als Freundin, David Fuchs als Freund von Max und schließlich der philosophierende Nachbar Felix Rank.
Uraufführung von Thomas Arzts „Werther lieben“ im Linzer Theater Phönix:
Was Goethes „Werther“ an Sehnsucht Charlotte widmete, kann man kaum in der Literatur wiederholen. Der oberösterreichische Autor Thomas Arzt versucht es dennoch mit dem Stück „Werther ieben“. Die Uraufführung am Donnerstag im Linzer Theater Phönix erhielt unschlüssigen Beifall.
Charlotte und Max sind ein junges Paar, sie wollen heiraten, tun das auch. Max verdient gut, das Eigenheim ist bezogen. Die Pfeffermühle ist aber das einzig scharfe in der Beziehung. Freilich gibt es Lieibe doch die bietet vor allem materielle Sicherheiten. Als in die verfallene Mühle gegenüber Ulrich einzieht, wird dieser für sie um Auslöser für Ausbruchsfantasien …
Das Theaterstuck des Oberösterreichers Thomas Arzt (33) ist ein sprachlich feines Konversationsstück, das den Sturm- und Drang-Klassiker „Die Leiden des jungen Werther“ aufgreifen will. Bei Goethe hält die Sehnsucht die Liebe am Lodern. Bei Arzt ist das Sehnen der Charlotte nach Ulrich aber nur eine Idee, ein Versuch, aus der Langeweile und aus sich selbst auszubrechen. Richtig in Fahrt kommen die Gefühle nie, es bleibt belanglos.
Diese Ergebenheit der Figuren in ihre klischeehaften Wohlstandsumstände kann ein Statement sein. Doch der Fortgang des Dramas liegt stark in der Verantwortung des Regisseurs. Johannes Maile dreht die Figurenkonstellation durch geschickte Charakterstudien immer wieder ins Emotionale. Seine Regie macht das unentschlossene Stück erst wirklich sehenswert.
Auch das Schauspiel ist beachtlich. In den Hauptrollen sind Katharina von Harsdorf (Charlotte), Markus Hamele (Max) und Felix Rank (Ulrich) zu sehen, als Freunde treten Isabella Szendzielorz und David Fuchs auf. Eine Augenweide ist das Bühnenbild von Georg Lindorfer, der auf dem engen Raum gleich mehrere Schauplätze verpackt.
Werther lieben – die Uraufführung von Thomas Arzts Stück am Theater Phönix Linz leidet an Johannes Mailes hyperrealistischem Barbecue-Setting
Das Brett mit Trauben, Käse, Wurst. Die Gläser fürs Bier. Und endlich, der Laib Brot. Charlotte, hier Coco genannt, arrangiert die Dinge auf dem Gartentisch. Abend ist\'s, das Gewitter vorbei, der Mann schon zuhaus. Nein, nichts fehlt mehr zur sogenannten Mittelstandsidylle, alles da, alles gut. Mit ihrem Max und mit der Aufrechterhaltung dieser Mittelstandsidylle hat sie bis dahin aber auch längst genug mitgemacht. Nach insgesamt 15 Kostümwechseln steht Katharina von Harsdorf am Ende zitternd in eine wärmende graue Weste gehüllt und macht traurige Miene zum traurigen Spiel. Denn wo Brot geschnitten wird, da fallen Brösel. Sei es Goethes Werther, der beim Anblick der Brot schneidenden Charlotte, dort Lotte genannt, in eine Liebe zerbröselt. Oder sei es gleich die ganze Liebe, die beim Anblick der Sturm-und-Dranglosigkeit der Idylle auseinanderfällt.
Aus Zeit und Vernunft gefallen
Mit dem Laib Brot beginnt in der Romanvorlage die leidvolle Liebesgeschichte. Mit Brot und einer erschöpften, Brot schneidenden Coco endet im Theater Phönix in Linz die Uraufführung von “Werther lieben“. Der Text von Thomas Arzt gruppiert eine Abfolge von leidvollen Liebesszenen irgendwo ins heutige Oberösterreich. Zeitsprünge gibt es, und Wiederholungen. Im Mittelpunkt des Geschehens eine Charlotte, die nicht nur unter der Jovialität des Dialektalen zu leiden scheint, sondern sich überhaupt nach irgendetwas Echterem, Wilderem gesehnt hätte. “Es ist kitschig. Es ist viel zu kitschig. Ich wollt es doch gar nicht so kitschig“, wiederholt sie bei jeder Wiederholung der Hochzeitsszene. Diese torpediert Werther, hier Ulrich genannt, auf immer neue Weise. Felix Rank stolpert in immer neuen Kostümen hinein ins Geschehen und bleibt immer gleich aus der Zeit und aus der Vernunft gefallen.
Seine ausschweifenden Reden über die Liebe als Verschwendung unterstreicht Rank mit großen Gesten. Als neuzugezogener Philosophiestudent verausgabt er sich beim Joggen und streicht hingebungsvoll durch den Vorgarten seiner verfallenden Mühle. Als ein solcher neu zugezogener Philosophiestudent wird er zum interessanten Exotikum für Charlotte und ihr Verlobter Max deswegen immer uninteressanter. Dann kommt\'s, wie es kommen muss und am Ende fügen sich alle in ihr unausweichliches Unglück: in die monogame Beziehung. Bei der es ja immer sogenannte Ausrutscher geben soll, die aber als solche unter allen Umständen aufrecht erhalten bleiben müssen. Denn auch Max, das ist Markus Hamele, als grober Verlobter, träumt von Sex mit einer anderen, einer Prostituierten in Zürich. Trotzdem setzt er sich am Ende zu Coco an den Gartentisch, sie schweigen sich an, das Licht geht aus.
Joggen, weinen, schreien
Die Inszenierung von Johannes Maile bebildert die Handlung bis hin zur Sexszene auf Video. Was nicht aufs Video ausgelagert ist, findet Platz auf der Bühne von Georg Lindorfer. Rechts das ordentliche Einfamilienhaus für Charlotte und Max, links das romantisch verkommene Gemäuer von Ulrich. Gejoggt wird viel, geweint und geschrien auch. Die beiden Comic Relief Figuren Betty und Götz, befreundet mit Coco und Max, umschwirren das Paar voller Sorge um deren Zukunft. Machen Photos, bringen Baupläne, reisen mit Koffer nach London oder sitzen lässig Bier trinkend bei der Grillparty herum.
Dass inmitten dieses Hyperrealismus dann doch auch inszenatorische Fehler passieren, ist ärgerlich. So kündigt der Text das Gewitter erst an, auf der Bühne ist aber schon der Regen zu hören. So spricht auch der Text von der Flasche Wein “drüben“, während sie doch direkt davor am Gartentisch steht. Filmischer als Hollywood hat die Inszenierung das Interesse ganz auf die Ausstattung und gar nicht auf die Nachvollziehbarkeit der Sprechakte gerichtet. Dabei versucht sich das Stück auch an interessanten Überlegungen. “Es ist mehr die Frage nach dem, was ist, wenn uns die Sprache fehlt, für das, was ist“, erklärt Ulrich die Philosophie. Diesem Abend fehlt die Sprache nie, da gibt\'s doch für alles ein Requisit.
Theresa Luise Gindlstrasser, Nachtkritik, 13.05.2016