„Ein Treffen dreier Menschen. Man teilte einst vieles. Man teilte eine Adoleszenz. Und ein bisschen bemüht ideologische Ideen. Nun trifft man sich wieder. Einige Jahre später. Und über diesem Treffen steht der Verlust der Nähe von damals. Weniges hat man sich noch zu sagen, aber in den Köpfen wird es ganz laut. Im Laufe einer Nacht bestimmt man einmal so richtig seinen Standort. Man zieht Bilanz. Man lotet alte Nähe aus. Man lässt die Körper aufeinanderprallen und die Hirne lärmen. Und am nächsten Morgen besteigt man einen Berg. Und es gibt auch was zu feiern. Weil es wird da wer heiraten. - Wohnst du noch, oder lebst du schon? Die Frage nach dem Wohnen wird hier zur Frage nach deiner Seinsweise überhaupt. Wenn du tatsächlich in einer gänzlich postideologischen Zeit angelangt bist, dann scheint dein Wohnen trotzdem immer noch darüber Aufschluss zu geben, ob du erfolgreich bist oder nicht - beruflich wie privat, finanziell wie emotional.“
„Man wähnte sich einmal als Teil einer Generation, die vielleicht Epochales tragen können würde. Nun ist der Glaube an diese Potenz der eigenen Generation dem Wissen gewichen, dass sich aus dem Vorfindbaren nichts Neues wird ausfalten können. So wartet man auf das Kommen des Anderen, des Ereignisses, das wie ein Messias kommen muss oder wie eine Flutwelle. Und bis dorthin wohnt man einfach. Unter Glas. Und manchmal besteigt man einen Berg.“
Ewald Palmetshofer
Früher waren sie eine Clique. Babsi, Jeani und Max. Sie teilten eine Wohnung und die politische Ideologie. Und gelegentlich das Bett. Nun treffen sie einander nach Jahren wieder, um ein gemeinsames Wochenende in einem Hotel zu verbringen. Schon an der anfänglichen Frage, wer mit wem in einem Zimmer schläft, entzünden sich alten Rivalitäten und Zuneigungen. „Im Laufe einer Nacht bestimmt man einmal so richtig seinen Standort. Man zieht Bilanz. Man lotet alte Nähe aus. Man lässt die Körper aufeinanderprallen und die Hirne lärmen.“ Für kurze Zeit wäre vieles möglich. Doch über das Möglichkeitsstadium kommt man nicht hinaus.
Das Wiedersehen der drei Freunde wird zum Spiegel einer Gesellschaft, in der es wenig soziale Zwänge und keinen höheren Sinnzusammenhang gibt. Die Heilsversprechen von Markt und Politik gelten dem Glück des Einzelnen. Wen das Glück nicht einholt, der ist offenbar selber schuld. Also wartet man darauf, richtet sich in diesem Warten ein, wohnt im Provisorium. Wo es keine Entscheidungen gibt, fehlen aber auch Höhen und Tiefen. Metapher für diese Seinsweise ist der „Coitus interruptus“, der Babsi, Max und Jeani eine Zeit lang verbunden hat.
„wohnen. unter glas“, eines der derzeit meistgespielten Stücke auf deutschsprachigen Bühnen, vom Oberösterreicher Ewald Palmetshofer (*1978): ein kluger und humorvoller Sozialbefund über die Generation der 30er. Begeisterung bei der Premiere im Linzer Theater Phönix.
Das Stück ist beeindruckend: Geschrieben in Einwort-, Halb- und Viertelsätzen, ist das Weggelassene aber im Zusammenhang sehr wohl präsent. Palmetshofer beschreibt anhand von drei jungen Menschen eine Generation, die illusionslos ist, der die Maximierung kurze Glückseligkeit bedeutet und die sich Visionen erfinden möchte, aber: „Entwickle dir mal eine. Eine Vision. Eine Perspektive. Ein perspektivisches Visionen-Scheiß-Panorama. Entwickle mal!“, heißt es im Stück.
Am Zenit ihres Lebens sollten sie in diesem Alter stehen, aber den drei 30ern, die vor einigen Jahren in einer WG offensichtlich nichts Großartiges miteinender erlebt haben, fehlt jegliche Zukunftsperspektive. Für diese Thematik, die alle Generationen davor betroffen hat und wohl auch folgende leider betreffen wird, findet Palmetshofer im Wortgestammel doch sehr eindrückliche Sprachbilder. Unterbrochen von Monologen, die so klug wie witzig, so analytisch wie ironisch sind.
Der Schauspiel-Dreier muss so agieren, als ob er den Text nicht auswendig gelernt hätte, sondern ganz spontan daherkommen, Da hat Regisseur Johannes Maile präzise und mit perfektem Timing gearbeitet. Die drei grandiosen Darsteller wirken dadurch in ihrem Spiel derart authentisch, dass wir den Eindruck haben, nicht im Theater zu sitzen, sondern unsichtbare Beobachter dieses Treffens zu sein.
Simon Jaritz überzeugt mit beachtlicher Darstellkunst: ein Typ, der Intellektualität ausstrahlt und Verklemmtheit predigt, der Innerlichkeit ebenso beherrscht wie eruptive Expression. Seit ihrer Zeit in Linz erfreulich an darstellerischen Nuancen gewonnen hat Lisa Fuchs, die ihre Rolle inhaliert hat wie die vielen Zigaretten, die sie raucht. Und auch Judith Richter ist so echt in ihrer emotionalen Armseligkeit, das man sie in die Arme nehmen möchte.
„wohnen. unter glas“ ist kein larmoyanter Text, obwohl er zeigt, wie das Warten auf Höhepunkte ganz schön melancholisch und trostlos sein kann.
Auf dem sichtlich abgewetzten Teppichboden einer Hotellobby, zwischen Ledersessel und Minibar, breitet sich allzu viel aufgeräumter Platz aus. Stephan Bruckmeier hat für das Bühnenpodest eine von gedämpftem Licht und Loungemusik wattierte Leere erschaffen. Das Loch namens Leben ist beim Wiedersehen der ehemaligen WG-Kommilitonen in Ewald Palmetshofers wohnen. unter glas deutlich spürbar.
Für den emotional entwurzelten Dreier Babsi, Jeani und Max ist nur noch oberflächliche Nähe möglich. Der Kitt des linkstheoretischen Überbaus ist abgebröckelt, und Seelenleid vermag keiner richtig mitzuteilen. Monologisch spucken sie es dann aber doch aus: Babsi (Lisa Fuchs) fehlt die menschliche Nähe, in der es sich bequem einrichten ließe, Jeanie (Judith Richter) vermutet im Älter- und Reiferwerden-Schema ihren Rettungsanker und Max (Simon Jaritz), Objekt der Begierde, hat sich in theoretische Abhandlungen über das Leben verkrochen. Regisseur Johannes Maile setzt den abgehakten Textfluss in gelungenes körperliches Stottern um und spart auch nicht an komischer Aufladung. Gast Simon Jaritz begeistert als famos unterspielter Nerd Max. Da hält man dann sogar die Gratwanderung entlang eines antikonsumistischen Bierernst aus.
Gelungene oö. Erstaufführung „wohnen. unter glas“ von Nachwuchshoffnung Ewald Palmetshofer im Linzer Theater Phönix
Die Erwartungen waren hoch gespannt, geht Ewald Palmetshofer doch der Ruf als eine der größten Nachwuchsbegabungen des deutschsprachigen Theaters voraus. Seine Stücke sind viel begehrt, nur in seiner oö. Heimat war bisher keine Talentprobe aus seiner Feder zu sehen. Nun, der aus Mönchdorf, Gemeinde Königswiesen, stammende Autor konnte sich nach der Premiere am Donnerstag zufrieden verbeugen: Sein Zustandsbefund seiner desillusionierten Generation wurde von Simon Jaritz, Judith Richter und Lisa Fuchs in der atmosphärischen dichten, die subtilen Zwischentöne herausarbeitenden Regie von Johannes Maile treffend realisiert.
„Was, wenn der Höhepunkt im Leben, der eigene Zenit, längst überschritten ist, ohne dass man es gemerkt hat? Irgendwann holst du mal Luft. Und schaust dich um. Überall Gals. Höher kommst du nicht“ zieht Max Bilanz. Er trifft sich mit Jeani und Babsi, mit denen er vor Jahren Wohnung, Ideologie und manchmal wechselweise das Bett teilte. Jetzt, an der ominösen 30er-Schwelle, hat sich das Trio nichts mitzuteilen, versteckt sich hinter Floskeln „Mir geht’s gut“, „Gut schaust du aus“.
Leben in der Zwischenzeit
Sie haben zum „emotionalen Mittelstand“ gehört, aber jetzt verharrt jeder für sich in der Zwischenzeit, wo das Glück und die Liebe irgendwo in der Warteschleife hängen geblieben sind – „nur wohnen, aber kein Leben“. Gesellschaftliche Utopien haben sich als obsolet erwiesen, wie auch Max’ Hoffnungen auf einen Wegweiser zu der Kreuzung, die zum „Total-Erwachsensein“ führt. Vor lauter Sich-selbst-beim-Denken-Kommentieren möchte man als Zuschauerin fast rufen: „Nehmt euer Leben und das Glück endlich in die Hand!“.
Das eingemachte und die Sehnsucht nach einem Gegenüber werden von Palmetshofers rhythmisch durchstrukturierter Kunstsprache, bei deren sich wiederholendem Gestammel das Nichtgesagte wichtiger ist als das Gesagte, und von den Darstellern differenziert transportiert.
Max (besonders eindrücklich Simon Jaritz) deckt seine Beziehungsangst mit verquasten Mathematikformeln zu, Babsi (Lisa Fuchs) schwankt zwischen Aufbegehren und Trauer, dass nicht einmal das „Nur kuscheln“ funktioniert. Und auch bei Jeani ((Judith Richter) weiß man, dass die bevorstehende Hochzeit – nicht mit Max – nicht das ist, was sie wirklich will. Als Zuschauer kann man sich aber auch über die Komik amüsieren, die Palmetshofer der Verzweiflung seiner Figuren ur Seite stellt, vielleicht ist auch mancher leise genervt über ihr Zaudern. Wobei ich persönlich den Wunsch hegte, dass sich diese jungen Leute nicht länger im Weg stehen, wie auch die Hoffnung, blad mehr von Palmetshofers theatralischen Gedankenkonstrukten in Linz zu sehen. Viel Applaus für Autor und Team.
Ewald Palmetshofers „wohnen. unter glas“ im Linzer Phönix:
Sie sind ausgelassen, endlich sind sie wieder zusammen. Um über früher zu reden. Ewald Palmetshofers Stück „wohnen. unter glas“ ist ein Porträt, das treffsicher der Generation „30 plus“ ans Leder geht. Johannes Maile hat es im Linzer Theater Phönix als rasante Dreiecksbeziehung auf die Bühne gestellt.
Früher haben sich Babsi, Jeani und Max eine WG geteilt, waren offen und „durchsichtig“ füreinander. Jetzt müssen die drei Mittdreißiger in monologhaften Innenschauen feststellen, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben. Darum reden sie auch selten in vollständigen Sätzen, schlagen sich lieber Banalitäten um die Ohren. Aufgewachsen im Luxus, sind sie Vertreter der Generation „30 plus“. Sie fühlen sich jung und alt zugleich, reden davon, in einer gläsernen Kuppel gefangen zu sein. Dort ist das Leben zwar voller Visionen, doch ohne Gefühle.
Regisseur Johannes Maile zeigt uns glaubwürdige Typen, deren Probleme berühren. Die etwas dumpfbackige Jeani, mit fein geschliffnem Sexappeal angelegt von Judith Richter, stammelt zuckersüß ihre Sätzchen. Lisa Fuchs macht aus Rivalin Babsi den runden, weichen Typ, der subtil seine Krallen einsetzt. Die Damen sind an Beziehungen interessiert, der einzige Mann in der Runde rettet mit wahnwitzigen Gedankengebäuden sein Leben. Max, dem Simon Jaritz eine große Gefühlspalette gibt, hat Witz. Aber irgendwann wird klar, dass er mit den weiblichen Reizen um ihn herum wenig anfangen kann. Heftiger Applaus!