Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.
Georg Büchner, Woyzeck
Elf Szenen, elf Tote oder zumindest Schwerverletzte. "Das Pulverfass" des jungen mazedonischen Autors Dejan Dukovski: ein Reigen der Gewalt, in dem Überlebende von Szene zu Szene weitergereicht werden - Täter werden zu Opfern, Opfer zu Tätern. Sie treffen sich beim Bier, im Zug, im Bus, im Knast, im Alltäglichen. Was harmlos zu beginnen scheint, mündet in Gewalt und (Selbst-) Zerstörung. Explosion. Alltagsterrorismus pur.
In den differenziert gestalteten Miniszenen geht der Autor den Mechanismen von Gewalt nach. Als Zustandsbeschreibungen. Ohne die Frage nach der Ursache zu stellen, ohne Antworten zu geben. Kein Drama jedoch über den Balkankrieg, keine Abhandlung über historisch-politische Verhältnisse in Ex-Jugoslawien. Dukovski stellt vielmehr Zwischenmenschliches in den Vordergrund: die im Alltäglichen angesiedelten Szenen handeln von Liebe, Haß, Demütigung, (Selbst-)Zerstörung und unerfüllter Sehnsucht und geben drastisch und bissig Einblicke in das "Pulverfass Mensch".
Das 1993 am Nationaltheater Skopje uraufgeführte Stück hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt: Es zeigt die menschliche Destruktivität, für die es keine Erklärungen mehr zu geben scheint, weil das Handeln außerhalb jeglicher Vernunft steht. Daß das Stück aber nicht nur (be-)trifft, sondern darüber hinaus so faszinieren kann, liegt vor allem an Dukovskis unverwechselbarer Erzählweise irgendwo zwischen Ironie und schwarzem Humor. Man kann sich der Komik nicht entziehen, auch wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt.
Dejan Dukovski, geb. 1969 in Skopje, Mazedonien. Studium der Philosophie und Theaterwissenschaften an der Universität Skopje. Autor von Stücken ("Balkan ist nicht tot", "Wer verdammt hat angefangen") und Drehbüchern. Zur Zeit Hausautor des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, für das er gerade ein neues Stück mit dem Titel "Moonkids" schreibt.