Stellen Sie sich einen Mann vor, der durch brutale, gewissenlose Machtpolitik nach oben kommt, der skrupellos und ohne Rücksicht auf Verluste Kapital anhäuft, der eine Bande von Trinkern und schrägen Vögeln um sich schart, sich eine junge fesche Frau "hält", sich teuer in die oberste Gesellschaftsklasse einkauft und dort ohne Hemmungen "Seitenblicke" kassiert...
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Jedermann könnte vor Ihnen stehen, ganz sicher aber ein Mann namens Albert Spica. "Jedermann" ist natürlich die Hauptfigur des berühmten Hofmannsthal-Dramas "Jedermann", "Albert Spica" ist die Hauptfigur des wuchtig-wunderbaren Greenaway-Films "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber". Beide Stoffe erzählen vom Sterben eines reichen Mannes. Spannend sind der unterschiedliche Zeitbezug, die verschiedenen Sprachmodelle (Versmaß und heutige Sprache), die vergleichbare Art des Lebens und des Sterbens. Mit Figuren des Greenaway-Films "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" wird nun im Phönix, in einem durchaus verwegenen Theater-Experiment, die mittelalterliche Moralität, das Mysteriendrama "Jedermann" ins Heute hineinerzählt. Das alte Spiel "vom Sterben des reichen Mannes" wird zu einem grotesken, gefährlichen Gesellschaftsspiel der Jetztzeit. Menschen, Figuren tun das, was sie am besten können, sie lauern auf Beute, fressen, saufen, schlingen alles in sich hinein, ergreifen Besitz... und führen dabei kleine und große Kriege um ihre Habe.
Nicht nur das: gehobenes Hofmannsthal-Dichterdeutsch trifft auf die Umgangs- und Gangstersprache des Greenaway-"Diebs". 2 Sprachmodelle, die sich wie zwei Duel-lanten gegenüberstehen, aneinandergeraten, sich gegenseitig benutzen, in den Clinch gehen, sich bekriegen, aber nicht ohne miteinander auszukommen...